14.09.2021 | 14:45:00 | ID: 30901 | Ressort: Landwirtschaft | Agrarpolitik

Antibiotika-Verwendung bei Tieren: Morgen kritische Abstimmung im Europäischen Parlament

Brüssel (agrar-PR) - Die Emotionen in der Bevölkerung kochen hoch wie selten bei einer Abstimmung im Europäischen Parlament.
Angeheizt durch eine großangelegte, jedoch in die Irre führende Lobbykampagne des Bundesverbands praktizierender Tierärzte (bpt) bangen vor allem Besitzer von Haustieren um die zukünftige medizinische Versorgung ihrer Lieblinge. Nun hat der bpt sich kurz vor der Abstimmung am morgigen Mittwoch nochmal öffentlich in die Diskussion eingebracht. Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen und Mitglied im Umwelt- und Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments und der Urheber des vom bpt so heftig kritisierten Vorschlages, kommentiert:

„Die Lobby-Kampagne trägt Früchte, denn die Sorge um ihre tierischen Schützlinge hat in Deutschland allein über 600 000 Menschen dazu gebracht, ihre Unterschrift für ein angeblich besseres gesetzliches Vorhaben zu leisten. Doch die Kampagne arbeitet auf Grundlage irreführender Argumente und leitet die Haustierfreunde aufs falsche Gleis. Der Schaden kann immens sein, und am Ende stehen dann möglicherweise die im Regen, die meinten, für das Gute zu handeln.

Bei der Abstimmung im Europäischen Parlament morgen geht es im Wesentlichen darum, welche Kriterien angelegt werden sollen bei der Sortierung von Antibiotika in ‚simple Antibiotika‘ und ‚Reserveantibiotika‘. Reserveantibiotika sind diejenigen, die als einzige Antibiotika und Arzneimittel überhaupt noch helfen können bei einer bakteriellen Infektion, wenn alle anderen Wirkstoffe nicht mehr wirken aufgrund von Antibiotikaresistenzen, und die für die Anwendung in der Humanmedizin reserviert werden sollen.

Schon jetzt sterben jedes Jahr in der EU 33 000 Menschen, weil bei ihnen kein Antibiotikum mehr anschlägt. Je mehr Antibiotika eingesetzt werden, desto wahrscheinlicher und schneller die Resistenzentwicklung. Es ist daher absolut richtig, dass auch die Europäische Kommission strenge Regeln anwenden will beim Einsatz von Antibiotika in Human- und Veterinärmedizin.

Anlass für die Lobbyschlacht war der Vorschlag der Europäischen Kommission über diese Kriterien im Frühsommer. Dem Europäischen Parlament obliegt es bei einem solchen Vorschlag (in Form eines delegierten Rechtsaktes), seine stille Zustimmung zu erteilen oder aber Einspruch einzulegen. Der Kommissionsvorschlag war aber nicht hinnehmbar, da er auf einem Konflikt zwischen den Interessen der Humanmedizin und der Tiermedizin beruht. Alles was für den Menschen reserviert wird, soll kategorisch für Tiere ausgeschlossen werden. Das ist kontraproduktiv für die Humanmedizin, da so ein erheblicher Druck von der Veterinärseite gegen jegliche Listung zu befürchten ist. Andererseits ist es unverhältnismäßig, was die Tiermedizin betrifft, weil damit auch die Behandlung einzelner Tiere mit solchen Antibiotika ausgeschlossen wird.

Wir haben versucht, eine Brücke zu bauen: Anwendung der einschlägigen WHO-Kriterien zur Listung der Reserveantibiotika, im Gegenzug eine Ausnahme für die Einzeltierbehandlung.  Daher habe ich einen Einspruch eingelegt.  Anders als von bpt-Anhängern kolportiert war daran nichts Geheimes oder Intransparentes.

Der bpt forderte seine Mitglieder auf, den Kommissionsvorschlag zu unterstützen, damit auch zukünftig ihre Haustiere mit Antibiotika versorgt werden könnten. In der Logik des bpt sieht das so aus: Er geht davon aus, dass die Liste der Reserveantibiotika, also der Antibiotika, die nur für die Humanmedizin reserviert bleiben sollen, nur wenige Wirkstoffe enthalten wird. Das ist aber reine Spekulation des bpt.

Die letzten Verlautbarungen der Europäischen Kommission lassen stark vermuten, dass das Gegenteil der Fall sein wird. Die Kommission schreibt so beispielsweise in ihrem Factsheet, dass der Einsatz antimikrobieller Substanzen in der Veterinärmedizin auf das absolut Nötigste beschränkt wird. Weitergedacht bedeutet das - gemäß der aktuellen gesetzlichen Lage -, dass die Antibiotika der Reserveliste absolut und ohne Ausnahmen für Tiere gesperrt sind. Ob nun Haustier oder Nutztier.

Der bpt selbst hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Basisverordnung, die Tierarzneimittelverordnung, keine Ausnahmen zugesteht. Genau das vom bpt gebetsmühlenartig wiederholte Szenario, wonach ein Tierarzt einem Kind erklären muss, dass er ein vorhandenes Medikament für das Haustier nicht einsetzen darf, könnte dann Wirklichkeit werden.

In meinem Veto habe ich mich explizit dafür ausgesprochen, dass Reserveantibiotika auch für einzelne Tiere eingesetzt werden dürfen. Beim Einzeltier, ob Hund, Katze oder Kuh ist die Wahrscheinlichkeit der Resistenzentwicklung wesentlich geringer, als wenn eine ganze Tiergruppe, wie in der Tiermast, mit Antibiotika versorgt wird. Der bpt täte aus genau diesem Grund gut daran, meine Resolution zu unterstützen.

Ich fordere die Europa-Parlamentarier aber auch deshalb dazu auf, meine Resolution morgen zu unterstützen, weil sie strenge Vorgaben zur Gruppenbehandlung von Tieren macht. Metaphylaktische, also vorsorgliche die Vergabe von Reserveantibiotika an eine ganze Tiergruppe in der Tiermast über Futter oder Tränkesystem, soll damit unmöglich gemacht werden. Auch das ist ein sehr wichtiger Aspekt bei der Eindämmung der Resistenzbildung und ist - anders als vom bpt behauptet - kein ‚an den Pranger stellen‘ von Haltungsbedingungen, sondern ein Hebel um genau diese Haltungsformen im Sinne des Tierwohls zu verbessern.“

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Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament
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