23.03.2011 | 15:32:00 | ID: 8755 | Ressort: Energie | Energiepolitik

Baden-Württemberg beschließt neues Klimaschutzkonzept 2020PLUS

Stuttgart (agrar-PR) - Gönner will nach Japan beim Ausbau erneuerbarer Energien noch mehr aufs Tempo drücken und will gesellschaftlichen Diskurs über Energieversorgung der Zukunft einleiten
Umweltministerin Tanja Gönner will nach den Reaktorunfällen in Japan beim Ausbau der erneuerbaren Energien aufs Tempo drücken. „Wir müssen noch einen Zahn zulegen, wenn wir beim Klimaschutz nicht zurückfallen und den Übergang weg von der Kernenergie hin zu den Erneuerbaren beschleunigen wollen“, erklärte die Ministerin nach dem gestrigen (22. März 2011) Beschluss des Ministerrats in Stuttgart. Das rund 200 Seiten umfassende Konzept sei nach Japan und der Abschaltung der beiden Kernkraftwerke Neckarwestheim I und Philippsburg 1 zwar nicht Makulatur, weil es sehr ehrgeizige Vorgaben beinhalte.

„Allerdings muss in der weiteren Umsetzung nachjustiert werden, um die Ziele erreichen zu können, wenn es zu einer früheren Abschaltung von Kernkraftwerken kommt“, kündigte Gönner an. Werde nur die in einem Kernkraftwerksblock erzeugte Elektrizität durch Kohlestrom ersetzt, steige der CO2-Ausstoß um rund sieben Millionen Tonnen. „Der CO2-Ausstoß würde damit in Baden-Württemberg um etwa zehn Prozent steigen.“ Die Folge von Japan dürfe jetzt aber nicht sein, es sich einfach zu machen und bei den Klimazielen Abstriche vornehmen, so Gönner. „Wir müssen vielmehr gemeinsam den Weg gehen, die Anstrengungen zum Klimaschutz zu verstärken.“
 
Mit einem Bündel von insgesamt 145 Einzelmaßnahmen will Gönner weiterhin bis 2020 in Baden-Württemberg gegenüber 1990 den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase um 30 Prozent senken. In einem Klimapakt sollen nun die weiteren Umsetzungsschritte konkretisiert und auch damit verbundene Kosten abgeschätzt werden, so Gönner. Wichtige Mitstreiter seien die großen Energieversorger aber auch Stadtwerke und Kommunen. „Wenn die Energiewende beschleunigt wird, geht das nicht zum Nulltarif und es entstehen auch Belastungen für die Menschen wie auch die Umwelt. Da müssen wir einen Ausgleich hinbekommen.“ Klar sei aber, dass die bisherigen Ziele in der Stromerzeugung den Anteil der erneuerbaren Energien von aktuell gut 15 auf mindestens 20 Prozent und bei der Wärmebereitstellung von rund zehn auf 16 Prozent zu steigern, nicht mehr ausreichend seien.
 
Ein Schlüssel liege neben einer erhöhten Energieeffizienz im beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien, die allerdings in zentralen Bereichen bereits heute an erste Grenzen stießen, so Gönner. „Neue Wasserkraftanlagen können wegen der verschärften gewässerökologischen Anforderungen nur noch in begrenztem Umfang zugebaut werden. Bei Energiepflanzen sehen wir mit Sorge, wenn große Monokulturen beispielsweise von Mais entstehen und sowohl die Artenvielfalt bedroht wie auch in der Konkurrenz landwirtschaftliche Erzeugung verdrängt wird.“ Bei der Stromproduktion durch Erdwärme stehe man noch am Anfang. Nur eine einzige Pilotanlage in Bruchsal sei bislang in Betrieb. „Die technischen Herausforderungen sind groß.“

Potenziale gebe es dagegen noch bei der Windkraft, die nach dem neuen Konzept von 0,3 Terrawattstunden im Jahr 2005 auf bis zu 20 Terrawattstunden ausgebaut werden solle. Ein dazu im Auftrag des Wirtschaftsministeriums erstellter und bundesweit einzigartiger Windatlas zeige die am besten geeigneten Standorte auf. „Die Weichen sind gestellt, in diesem Sektor mit großen Schritten voranzukommen.“ Große Widerstände gebe es dagegen beim notwendigen Ausbau der Energieinfrastruktur. „Wir brauchen neue und intelligente Stromnetze um Windstrom von den Küsten ins Land zu bringen und die zunehmend dezentrale Erzeugung mit den Verbrauchern zu verbinden.“ Außerdem müssten neue Energiespeicher wie das im Südschwarzwald geplante Pumpspeicherwerk gebaut werden, um den stark fluktuierenden Wind- und Sonnenstrom dann zur Verfügung zu stellen, wenn er auch gebraucht wird.

In einem breit angelegten gesellschaftlichen Diskurs sollen nach den Vorstellungen Gönners, gangbare und von den Menschen akzeptierte Wege gefunden werden, den Ausbau der erneuerbaren Energien, die bundesweit wie auch in Baden-Württemberg gut 17 Prozent zur Stromerzeugung beisteuerten, nun schneller voranzutreiben. Eine große Mehrheit der Bevölkerung sei zwar dafür zu gewinnen, lieber heute als morgen möglichst vollständig auf erneuerbare Energien umzusteigen, so Gönner. „Wenn es aber dann konkret wird und entschieden werden muss ob in der Nachbarschaft eine Biogasanlage gebaut oder auch vor der eigenen Haustür eine neue Stromtrasse verlegt wird, entstehen die Schwierigkeiten.“

Über einen offenen und transparenten Dialog müsse deshalb angestrebt werden, einen gesellschaftlichen Grundkonsens herzustellen. „Wer weismachen will, man müsse nur den Schalter umlegen, streut den Menschen Sand in die Augen. Zur ganzen Wahrheit gehört, dass es auch Belastungen bedeutet, wenn jetzt schneller umgesteuert wird.“ So zahlten die Stromverbraucher im Land schon heute mit steigender Tendenz über die EEG-Umlage jährlich rund 1,5 Milliarden Euro, über die die erhöhten Ökostromkosten ausgeglichen werden. Um künftig die Verbraucher nicht über Gebühr zu belasten müssten die staatlichen Förderprogramme aufgestockt werden. „Die energiebedingten Einnahmen des Bundes aus der neuen Brennelementesteuer und dem Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten müssen zielgerichtet eingesetzt werden, um die Energiewende mit zu finanzieren“, forderte Gönner.

Auch über die mit dem Ausbau erneuerbaren Energien verbundenen Auswirkungen auf Landschaft und Umwelt müsse offen informiert werden, so Gönner. „Die Fakten müssen alle auf den Tisch und dann müssen in der notwendigen Transparenz das Für und Wider und mögliche Alternativen abgewogen werden“, so Gönner. Man dürfe Sorgen, Befürchtungen und Widerstände in der Bevölkerung nicht ausblenden, sondern müsse sie vielmehr ernst nehmen. „Ich bin deshalb sehr skeptisch, wenn jetzt Forderungen laut werden, die Planungsverfahren müssten generell beschleunigt werden. Erst wenn es gelingt, einen Grundkonsens und eine positive und konstruktive Grundhaltung zu schaffen, wird man darüber reden können, ob Verfahren verkürzt werden können“, so Gönner.

Bundesweit liege der Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 derzeit bei jährlich über zehn Tonnen und soll nach den Plänen der Bundesregierung bis 2020 auf rund neun Tonnen vermindert werden. „In den kommenden zehn Jahren wollen wir in Baden-Württemberg von derzeit noch rund sieben Tonnen pro Einwohner die Klimabelastung auf unter sechs Tonnen vermindern und so unserer Spitzenstellung ausbauen“, erklärte Gönner. Als Hochtechnologieregion müsse das Land seiner besonderen Verantwortung gerecht werden und weiterhin Schrittmacher bei der Entwicklung moderner klimaschonender Umwelttechnologien und deren Einführung sein. Bis 2050 sollen pro Kopf in Baden-Württemberg sogar nur noch zwei Tonnen klimaschädlicher Treibhausgase entstehen und damit 80 Prozent weniger als 1990. „Das Klimaschutzkonzept 2020PLUS ebnet den Weg in eine klimaneutrale Zukunft“, so Umweltministerin Gönner. „Wenn auch die Brücke der Kernenergie verkürzt wird, wollen wir daran festhalten.“

Für eine Stromversorgung über erneuerbare Energien muss die Infrastruktur modernisiert und neu ausgerichtet werden. Um beispielsweise vor den Küsten erzeugten Windstrom im Norden Deutschlands nach Baden-Württemberg zu transportieren müssen nach Angaben der Deutschen Energie Agentur bundesweit etwa 3.600 Kilometer lange leistungsfähige 380 Kilovolt-Hochspannungs-leitungen neu trassiert werden. Hohe Erwartungen setzten die Energieexperten in intelligente Stromnetze, so genannte „Smart Grids“, die Verbrauch und Erzeugung von Strom besser steuern. Großer Bedarf besteht außerdem an leistungsfähigen Energiespeichern, die die je nach Wetterlage stark schwankende Erzeugung von Sonnen- und Windstrom ausgleichen können und über die Energie dann bereit gestellt wird, wenn Industrie und Haushalte ihn brauchen.


Klimaschutzkonzept 2020PLUS
 
Insgesamt sieben Sektoren wurden bei der Ausarbeitung des neuen Klimaschutzkonzepts 2020PLUS näher untersucht, um Potenziale für den Klimaschutz zu identifizieren. Ein zentraler Sektor ist die Energieversorgung, daneben aber such Industrie und Gewerbe, private Haushalte und Verkehr. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der immer noch weit verbreiteten Vergeudung von Energie, indem beispielsweise Abwärme durch den Kamin geblasen und damit ungenutzt in die Atmosphäre abgegeben wird. Insbesondere im produzierenden Gewerbe soll die so genannte Kraft-Wärme-Kopplung forciert werden, bei der die in industriellen Fertigungsprozessen entstehende Abwärme gezielt genutzt wird. Industrie und Gewerbe sind für über 40 Prozent des Kohlendioxidausstoßes im Land verantwortlich. Durch konsequenten Einsatz dieser Technik könnten bis 2020 jährlich etwa vier Millionen Tonnen weniger CO2 ausgestoßen werden.

Im Wärmesektor soll der mit dem Erneuerbare-Wärme-Gesetz, das seit Jahresanfang auch in bestehenden Wohngebäuden beim Heizungsaustausch die anteilige Nutzung erneuerbarer Energien verpflichtend vorschreibt, eingeschlagene Weg konsequent weiter beschritten werden. Private Haushalte verursachen etwa ein Viertel der gesamten CO2-Emissionen, wovon der Löwenanteil von 75 Prozent auf die Wärmeversorgung von Gebäuden entfällt. Nach dem Willen der Landesregierung sollte deshalb der Bund möglichst schon 2012 die Energiestandards für Gebäude (Energieeinsparverordnung EnEV) erneut anheben. Ein erhöhter Förderrahmen und verbesserte steuerliche Abzugsmöglichkeiten von Aufwendungen einer energetischen Modernisierung sollen außerdem dazu beitragen, vor allem ältere Häuser energetisch schneller auf Vordermann zu bringen. Wenn es nicht gelingt, den Modernisierungsstau aufzulösen, werden die ambitionierten Klimaschutzziele nicht erreichbar sein, heißt es im Klimaschutzkonzept.

Im Verkehrsbereich soll bis 2050 der Treibstoffverbrauch von PKW um 60 Prozent gemindert und damit auf einen durchschnittlichen CO2-Ausstoß von heute noch durchschnittlich 152 Gramm pro Kilometer auf 74 Gramm in etwa halbiert werden. Über alle Verkehrsmittel hinweg soll der Energieverbrauch um 20 bis 35 Prozent vermindert werden.


Land und Kommunen müssen Vorbildfunktion noch stärker wahrnehmen
 
Der Staat und die öffentliche Hand sollen nach dem Klimaschutzkonzept ihrer besonderen Vorbildwirkung künftig noch mehr als bisher gerecht werden. Über 50 Städte und Gemeinden - und inzwischen auch erste Landkreise - stellen sich über ihre Teilnahme am ‚European Energy Award’ einem international standardisierten Bewertungsverfahren. Neun Modellkommunen haben sich außerdem zu Beginn des Jahres auf den Weg in eine klimaneutrale Zukunft gemacht. Auch das Land will seine Anstrengungen beim Klimaschutz weiter vorantreiben. Das Ziel der Landesregierung ist es, bis 2050 eine weitgehend CO2-neutrale Verwaltung aufzubauen. (PD)
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