Zürich (agrar-PR) -
Mit steigender Tiefe bietet die Geothermie ein schier unerschöpfliches Potential an erneuerbarer Energie, gleichzeitig steigen aber auch die Bohrkosten bei konventionellen Bohrverfahren exponentiell an. An der ETH Zürich wird zur Zeit ein Flammenbohrer entwickelt, der auch in grosse Tiefen effizienter und damit kostengünstiger vordringen kann. Über
eine schmale Leiter klettert Tobias Rothenfluh, Doktorand am Institut für
Verfahrenstechnik, in die dreistöckige Versuchsanlage. Leitungen führen über
Dosier- und Sicherheitsventile zum Reaktor, der liebevoll «Betsy» genannt wird.
Zolldicke Platten aus hitzeresistentem Stahl halten ihn auch bei einem Druck
von 300 bar noch zusammen. «In unserem Versuchsreaktor zünden wir unter Wasser
eine Flamme bei rund 250 bar Druck und 450 Grad Celsius,» sagt Rothenfluh. «Damit
simulieren wir Bedingungen, wie sie im Bohrloch in rund drei Kilometern unter
der Erdoberfläche herrschen.» Zusammen mit seinen Kollegen Martin Schuler und
Panagiotis Stathopoulos hat er in den letzten Monaten einen ersten Prototypen
des Brenners gebaut.
Mit
Hochdruck an Laborversuchen
Über
diverse Leitungen und Ventile werden erhitzter Sauerstoff, Ethanol und Wasser
in den Brenner des Reaktors gepumpt und mischen sich unter überkritischen
Bedingungen für Wasser. Durch kleine Fenster aus Saphirglas
filmt eine Kamera, wie sich das Gemisch spontan selbst entzündet. Eine eigens
angefertigte Sensorplatte misst den Wärmefluss der Flamme und zeichnet die
Temperaturverteilung auf der Oberfläche für verschiedene Abstände zum
Brennerauslass auf. Daraus ziehen die Forscher Schlüsse über die
Wärmeübertragung der Flamme auf das Gestein. «Der Wärmefluss ist der
entscheidende Parameter für die Charakterisierung dieses alternativen
Bohrverfahrens», sagt Philipp Rudolf von
Rohr, Professor am Institut für Verfahrenstechnik der ETH Zürich. Er betreut
die Arbeit der drei Doktoranden.
Erosion
im Zeitraffer
Im
Versuch erreicht die Flamme eine Temperatur von rund 2000°C. Durch das rasche
Erhitzen der obersten Gesteinsschichten entsteht ein steiler Temperaturgradient
im Vergleich zu den kälteren, tieferen Schichten. «Die Hitze der Flamme bringt
das Gestein durch die ausgeprägten Temperaturunterschiede und die damit verbundene
Längenausdehnung zum Bersten», erklärt Tobias Rothenfluh. Aufgrund der
Ausdehnung der obersten Gesteinsschicht fungieren natürliche Fehlstellen im
Gestein als Entstehungsort für Bruchstellen. Ausgehend von diesen Bruchstellen
lösen sich scheibenförmige Gesteinspartikel im Millimeterbereich, die mit der
Strömung im umgebenden Medium nach oben transportiert werden. «Die
Herausforderung besteht darin, eine möglichst heisse Flamme zu erzeugen, die
das Gestein schockartig erhitzt, ohne es zu schmelzen», sagt Tobias Rothenfluh.
«Je grösser die Temperaturdifferenz im Gestein ist, desto schneller kann
gebohrt werden.»
Besonders
effizient ist das Verfahren im harten, trockenen Gestein ab einer Tiefe von
rund drei Kilometern. Um mit herkömmlichen Methoden in diesen Tiefen
weiter bohren zu können, müssen die
teuren mechanischen Bohrköpfe durch den Verschleiss regelmässig mit dem
gesamten Rohrmaterial an die Oberfläche geholt und ausgetauscht werden. Dadurch
entstehen erhebliche Kosten: Ein Bohrloch von zehn Kilometern kostet so rund 60
Millionen US-Dollar. Beim sogenannten «hydrothermal spallation drilling»
hingegen nutzt sich der Flammenbohrer deutlich weniger ab. «Die Bohrkosten
wachsen bei diesem Verfahren deshalb mit zunehmender Tiefe nur linear statt
exponentiell an», sagt Philipp Rudolf von Rohr. «Je tiefer man bohrt, desto
billiger wird schliesslich die gewonnene Energie.»
Simulation
und Demonstration
Um
das Verhalten der Flamme unter verschiedenen Bedingungen zu testen, entwickelt
der Doktorand Martin Schuler zusammen mit dem Master-Student Karl Goossens eine
numerische Simulation der Reaktions- und Transportprozesse. «Mit der Simulation
können wir Parameter wie Brennstoff, Massenströme, Temperatur und Druck, aber
auch die Geometrie des Brenners verändern und optimieren», sagt Martin Schuler.
Die experimentellen Ergebnisse des aktuellen Versuchaufbaus werden zur
Auslegung einer Pilotanlage verwendet, an der Panagiotis Stathopoulos arbeitet.
Die Demonstrationsanlage für rund 1,2 Millionen Schweizer Franken soll zeigen,
dass die hydrothermale Flamme auch tatsächlich durch Gestein bohren kann. Die
Finanzierung des Projekts wird durch das Bundesamt für Energie, den
Branchenverband swisselectric, die ETH Zürich sowie den Schweizerischen
Nationalfonds gedeckt.
Forschung
in Breite und Tiefe
Das
Interesse von Bund und Industrie zeigt, dass dem «hydrothermal spallation
drilling» durchaus Potenzial eingeräumt wird. Bis der Flammenbohrer tatsächlich
für geothermische Bohrungen eingesetzt werden kann, vergeht zwar noch einige
Zeit, die Machbarkeit wird aber nicht bezweifelt. «Für eine industrielle
Anwendung könnte man das Projekt durchaus schneller vorantreiben», dessen ist
sich Philipp Rudolf von Rohr durchaus bewusst, «an einer Hochschule wie der ETH
Zürich wollen wir aber auch Grundlagenforschung betreiben.» Auf dem Gebiet der
Wärmeübertragung einer Flamme im überkritischen Wasser sind die Forscher am
Institut für Verfahrenstechnik zur Zeit nämlich weltweit die Einzigen. «Wir
wollen sprichwörtlich nicht nur in die Tiefe, sondern auch in die Breite
forschen», sagt Tobias Rothenfluh. Das erarbeitete Wissen könnte in Zukunft
nicht nur für die Geothermie von Nutzen sein.
Überkritisches Wasser
Ab
einer Temperatur von 374,12°C und einem Druck von 221,2 bar sind Wasserdampf
und flüssiges Wasser in ihrer Dichte nicht mehr voneinander zu unterscheiden.
In diesem Aggregatzustand ist das Wasser weniger polar, hat keine Phasengrenzen
mehr und eignet sich somit besser als Lösungsmittel für apolare Gase wie
Sauerstoff. Brennstoff und Sauerstoff können sich unter diesen Bedingungen ohne
Blasenbildung mischen und entzünden sich im Falle von Ethanol ab einer
Temperatur von zirka 450 °C spontan.