Zürich (agrar-PR) -
Die Wüstenstrom-Initiative «Desertec» löst zwiespältige Reaktionen aus. Für die einen ist die Idee, Solarstrom in grossem Stil aus der Sahara nach Europa zu befördern, ein «Meilenstein». Für die anderen eine «Fata Morgana». Was sagen ETH-Experten zu dem Vorhaben? Die «ETH Life»-Redaktion hat nachgefragt. Herr Boulouchos, was halten Sie als Energie-Experte von den Plänen der Desertec-Initiative,
Europas Strom bis zum Jahre 2050 zu 15 Prozent aus dem Sonnenlicht der Sahara
zu gewinnen?
Konstantinos Boulouchos: Das ist ein visionärer Sprung. Ich finde es gut, dass man die Sonne
grossflächig ausschöpfen will. Ebenfalls gut ist, dass, zumindest vorläufig,
ein gewisses Interesse aus der Geschäftswelt da ist. Es ist also nicht nur eine
Forschungsidee, sondern es gibt Leute, die überlegen sich das ernsthaft. Das
sind gute Zeichen. Aber es gibt auch andere Dinge, auf die man achten muss.
Welche zum Beispiel?
Vor 2025 wird Europa nichts davon spüren.
Desertec ist ein sehr
langfristiges Projekt. Gefährlich daran kann sein, dass die Leute denken:
«Prima, jetzt gibt es Sonnenenergie aus der Sahara, also können wir so weiter
machen, wie bisher.»
Das heisst, es könnte
als ein Freibrief zur weiteren Energieverschwendung gesehen werden?
Zumindest muss man diese Gefahr sehen. So wertvoll nämlich der anvisierte
Desertec-Beitrag ist, er muss der deutlichen Erhöhung des Strombedarfs in
Europa bis 2050 gegenübergestellt werden.
Welche Probleme sehen
Sie noch?
Man könnte sich natürlich fragen, warum uns Nordafrika einfach seine
Ressourcen zur Verfügung stellen sollte. Stellen Sie sich vor, es käme eine
Delegation aus dem Nahen Osten und Nordafrika in die Schweiz und würde sagen:
«Passt auf, wir bauen euch Staudämme und transportieren die daraus gewonnene
Energie nach Ägypten, Marokko oder Algerien.» Damit will ich sagen: Es ist wichtig, dass wir den Menschen dort einen
angemessenen und fairen Ausgleich zahlen. Das Projekt muss einen Ansatz haben,
der zum Wachstum und zur Stabilisierung der Region beiträgt. Und das muss
vertraglich garantiert sein. Etwa durch die EU und robust verankerte
Institutionen in Afrika.
Eine andere Frage,
ist die des Preises. Ist der Strom aus der Wüste überhaupt konkurrenzfähig?
Das lässt sich heute schwer beantworten. Die Kosten für Strom aus solchen
solarthermischen Kraftwerken sind heute zwei bis dreimal so hoch wie die für
Strom aus konventionellen Kraftwerken. Aber wenn es mehrere von diesen
Kraftwerken gibt, dann kann man davon ausgehen, dass der Preis fällt, während
der für konventionell erzeugten Strom steigt. Es ist durchaus denkbar, dass um
das Jahr 2030 beide sehr nahe beieinander liegen.
Aber ist es wirklich
nötig Hunderte von Megawatt-Kraftwerken in den Sand der Sahara zu setzen, um
damit einen Siebtel unseres Stroms zu produzieren? Gäbe es nicht näherliegende
Lösungen?
Ja, etwa im südlichen Europa. Dort sind die Möglichkeiten für Wind und
Sonne bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Ich denke etwa an Kreta, Sardinien,
Sizilien oder Zypern. Auch muss es nicht unbedingt die leistungsmässig grösste
Variante sein. Je nach regionalen Gegebenheiten, wären vielleicht Solarkraftwerke
mittlerer Grösse das Optimale. Hier in der Schweiz bietet sich zum Beispiel das
Wallis an. Dort ist die Sonneneinstrahlung so hoch, dass man mit – allerdings
heute sehr teuren - Photovoltaikfeldern einen signifikanten Anteil des
Schweizer Stroms produzieren könnte.
Die grosse
Sahara-Variante hat ja auch eine politische Dimension. Viele Regierungen in der
Region sind instabil. Birgt das nicht auch ein Risiko?
Ich glaube, die Gefahr terroristischer Anschläge ist gering. Und selbst,
wenn jemand Europa vom Strom abkoppeln wollte, hätte das keine grossen
Konsequenzen. Bei den Desertec-Kraftwerken handelt es sich ja um dezentrale
Anlagen. Ausserdem ist das Projekt eine grosse Chance für die Entwicklung in
der Region. Daher wird es wohl kaum als Waffe eingesetzt werden, wenn die
betroffenen Länder umfassend einbezogen werden.
Aber erst einmal muss
das Projekt ja überhaupt zu Stande kommen. Noch weiss niemand, wo die 400
Milliarden Euro herkommen sollen, die das Projekt kosten soll.
Nun, das Risiko ist gross und muss Schritt für Schritt erkundet werden. Daher
reagieren Investoren noch relativ zurückhaltend.
Bewährte Technik
Auch wenn Desertec aus politischer und ökonomischer
Sicht noch zahlreiche Fragen aufwirft: „Vom technischen Standpunkt aus, ist das
Projekt machbar“, sagt Aldo Steinfeld, Experte für Erneuerbare Energieträger
und, wie Konstantinos Boulouchos, ETH-Professor am Institut für Energietechnik.
Das gelte sowohl für die Technologie der Übertragung als auch die der
Kraftwerke selbst. So würden Kraftwerke,
wie die dort geplanten, seit über 30 Jahren genutzt; die Technik sei ausgereift
und habe sich im kommerziellen Massstab bewährt. Etwa in Kalifornien oder in
Andalusien. Dort konzentrieren Parabolrinnen-Kollektoren das Sonnenlicht auf
Absorberrohre, in denen synthetisches Öl zirkuliert. In einem Wärmetauscher wird Wasserdampf erzeugt, der
schliesslich eine Turbine mit Generator antreibt. Solche Systeme für
Wärmespeicherung liefern rund um die Uhr, kontinuierlich Solarstrom.
«Aus technischer Sicht ist das Desertec-Projekt sehr positiv zu bewerten», so
Steinfeld. Es schaffe Anreize, die bestehende Technik weiterzuentwickeln - sie
noch effizienter, zuverlässiger und preiswerter zu machen. Zum Beispiel, indem
man den Wasserdampf direkt in den Absorbern erzeugt. In etwa zehn Jahren, so
schätzt der Experte, könnten die ersten solarthermischen Kraftwerke der neuen
Generation kommerziell nutzbar sein. Aber Steinfeld denkt noch weiter:
„Ein Fernziel wäre zum Beispiel, die konzentrierte Sonnenenergie nicht nur zur
Erzeugung von elektrischem Strom zu nutzen, sondern damit auch Brennstoffe wie
Wasserstoff oder indirekt sogar flüssige Treibstoffe zu produzieren.