23.07.2009 | 00:00:00 | ID: 1401 | Ressort: Ernährung | Wissenschaft & Forschung

Kugelrunde L-Form von Listerien entdeckt

Zürich (agrar-PR) - ETH-Forscher entdeckten eine neue Lebensform von Listerien, gefürchteten Erregern von schweren Lebensmittelvergiftungen. Die Bakterien können sich in der so genannten L-Form sogar vermehren und verbreiten. Jetzt sind neue Nachweismethoden für diese Bakterien gefordert.
Seit über 100 Jahren wissen Forscher, dass Bakterien ihre Zellwand verlieren können und trotzdem weiterleben. Lange aber glaubten sie, dass es sich dabei um einen Artefakt handelt und dass zellwandlose Bakterien nicht sehr lange lebensfähig bleiben. Eine neue Arbeit von einer Gruppe um ETH-Professor Martin Loessner, die soeben in der renommierten Zeitschrift «Molecular Microbiology» publiziert wurde und es aufs Titelblatt geschafft hat, zeigt aber, dass Bakterien ohne Zellwand eine stabile Form bakteriellen Lebens sein können. Erstaunlicherweise können Listerien ohne Zellwand nicht nur überleben, sondern sie können sich sogar vermehren und ausbreiten.

Vom Käse ins Hirn

Listerien (Listeria monocytogenes) sind Erreger von gefährlichen, mitunter tödlichen Lebensmittelvergiftungen, insbesondere bei Rohmilchspeisen, wie etwa Vacherin-Käse. Die Bakterien dringen über die Epithelzellen des Darmes ein und verbreiten sich von Körperzelle zu Körperzelle. Dadurch werden sie für das Immunsystem unsichtbar. Die Listerien überwinden sowohl die Blut-Hirn-Schranke als auch die Plazentaschranke. Im Hirn angelangt verursachen sie schwere Hirnentzündungen, die tödlich verlaufen können. Listerien können auch Föten und Schwangere gefährden.

Membran statt Zellwand


Normalerweise sehen Listerien wie Stäbchen aus. Verlieren sie ihre Zellwand, zum Beispiel aufgrund des Kontaktes mit bestimmten Antibiotika, die den Aufbau der Zellwand verhindern, werden sie kugelig und vergrössern sich stark. Die Bakterien sind dann nur noch von einer einzigen Membran umgeben. Zwischen dieser so genannten L-Form und der Stäbchenform gibt es zudem ein Zwischenstadium, von dem aus die Bakterien die Zellwand wieder aufbauen können. Haben die Listerien den vollständigen L-Form-Status aber einmal eingenommen, gibt es wahrscheinlich kein Zurück.

Mit dem Wechsel von normaler in die L-Form geht auch eine komplette Umstellung im Zellstoffwechsel respektive in der Genaktivität einher. Beinahe 280 Gene von Normal- und L-Form-Listerien wiesen unterschiedliche Aktivität aus. Gene, welche für die Stressregulation verantwortlich sind, waren in der L-Form besonders aktiv. Dagegen waren ihre Gene für Stoffwechsel und Energiehaushalt stark herunterreguliert. Dies verstehen die Forscher als Antwort und aktive Anpassung auf den neuen Lebensstil der Bakterien. «L-förmige Listerien leben eigentlich stark gestresst», sagt Loessner.

Zucht in Milch


L-Formen von Bakterien zu «züchten», ist nicht einfach. Sie müssen in einer Lösung «gehalten» werden. Sie bilden keine Kolonien, ausplattieren auf ein Nährmedium ist daher nicht möglich. Dennoch sind die L-Form-Listerien fähig, sich zu vermehren. Allerdings dauerte die Vermehrung lange: Bis zur Bildung einer sichtbaren Kolonie dauert es mindestens sechs Tage. Normale Listerienzellen teilen sich alle 30 Minuten; Kolonien sind nach 16 bis 20 Stunden sichtbar. Gestaunt haben die Forscher auch über die Art und Weise, wie sich in Mutterzellen der L-Formen Tochterzellen bilden. Erst entstehen neue Vesikel; sind diese gross genug, platzt die aufgeblähte Mutterzelle und gibt die Tochterzellen frei. Diese besitzen die volle genetische Ausstattung der Mutterzelle. Wie das Genmaterial verteilt wird, ist noch unklar. Ihr Stoffwechsel setzt erst ein, wenn sie die Mutterzelle verlassen haben.

L-Form Listerien überlisten zudem das Immunsystem. Makrophagen, also Fresszellen, nehmen die Kügelchen zwar auf, können sie aber nicht vernichten. Normale Listerien sind nach 30 Minuten getötet. Die L-Form überlebt tagelang in einem Makrophagen. «Wenn die Makrophagen die L-Formen nicht als Pathogen erkennen können, dann ist das für das Immunsystem möglicherweise ein Problem», erklärt der ETH-Professor.

Übergangsform nicht nachweisbar

Der Grund, weshalb die Forscher diese merkwürdige Lebensform erforschten: Vor rund 20 Jahren kam es in Kanada durch Konsum von verseuchter Milch zu einer Listerien-Epidemie mit vielen Todesfällen. Die Erreger liessen sich sowohl auf der Farm, woher die Milch stammte, als auch in den Patienten nachweisen, welche die Milch konsumiert hatten. In der fraglichen Milch konnten Forscher die Listerien jedoch nicht finden. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Bakterien in der Milch in ihrer reversiblen L-Form vorkamen und so gar nicht nachgewiesen werden konnten. «Denn die L-Form vermehrt sich in Milch genauso gut wie unter Laborbedingungen», weiss Loessner.

Zudem fanden Pathologen in Hirnschnitten von Tieren, die an Listeriose gestorben waren, oft kleine Bläschen, die sie bis anhin nicht richtig einordnen konnten. Loessner vermutet, dass es sich dabei ebenfalls um L-förmige Listerien gehandelt haben könnte.
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