14.01.2014 | 09:29:00 | ID: 16827 | Ressort: Ernährung | Wissenschaft & Forschung

Ritter Sport gegen Stiftung Warentest: Hohenheimer Lebensmittelwissenschaftler begrüßt Urteil im Schokoladenstreit

Stuttgart/Hohenheim (agrar-PR) - „Wo natürlich drauf steht, sollte auch natürlich drin sein“, so Prof. Dr. Reinhold Carle, Lebensmittelwissenschaftler der Universität Hohenheim / Im Fall Ritter Sport hält er die Firmenangaben für glaubwürdig
„Es ist möglich, in großen Mengen den Aromastoff Piperonal aus dem Sassafrasbaum herzustellen“, sagt Prof. Dr. Reinhold Carle, Leiter des Fachgebiets Lebensmittel pflanzlicher Herkunft von der Universität Hohenheim. Gleichzeitig bezweifelt der Experte, dass die Stiftung Warentest tatsächlich Beweise habe, dass Ritter Sport Piperonal verwendet, das künstlich hergestellt wird. Der Wissenschaftler vermutet, dass die Firma Symrise, die Ritter Sport mit Piperonal beliefert, aus gutem Grund keine genauen Angaben über die Herkunft ihrer Rohstoffe machen möchte - ist doch der Stoff Safrol, aus dem Piperonal möglicherweise hergestellt wird, schwer zu bekommen.

Im November 2013 hatte die Stiftung Warentest unmittelbar vor der Adventszeit 26 Nussschokoladen getestet und der Vollnuss-Schokolade von Ritter Sport die Note „mangelhaft“ gegeben – mit der Begründung, dass der Aromastoff Piperonal nicht wie angegeben aus natürlicher Quelle stammen könne. Ritter erwirkte Ende November eine einstweilige Verfügung gegen diese Behauptung. Dagegen wehrten sich wiederum die Verbraucherschützer – und unterlagen heute vor Gericht in München.

„Ich war entsetzt, dass die Stiftung Warentest, ohne dass sie justiziabel ihre Vorwürfe nachweisen kann, Ritter Sport an den Pranger gestellt hat. Die Bewertung der Vollnuss-Schokolade war eigentlich gut. Die Abwertung zu „mangelhaft“ ist nicht gut, weil das signalisiert, dass die Schokolade nicht genießbar sei. Das stimmt aber nicht. Und jetzt ist der Schaden für die Firma sehr groß“, sagt der Hohenheimer Wissenschaftler Prof. Dr. Reinhold Carle. Wichtig sei für ihn aber auch in jedem Fall: „Wo natürlich drauf steht, sollte auch natürlich drin sein.“

Prof. Dr. Carle kritisiert auch die indirekte Beweisführung von Stiftung Warentest im Testheft. „Ich glaube, dass die Verbraucherschützer keine stichhaltigen Beweise haben, denn sonst hätten sie diese schon im Heft genannt. Nach Ansicht der Stiftung gebe es im Handel keinen anderen Aromastoff, der durch Extraktion gewonnen wird, um die benötigte Menge bereit zu halten und bezahlbar zu machen. Aber sie nennt nur ein Indiz, nämlich die fragliche Verfügbarkeit des Stoffes aus natürlicher Quelle. Ich sehe allerdings eine ausreichende Verfügbarkeit – Safrol, eine Vorstufe des Piperonals ist in bis zu 80% in Sassafrasöl enthalten. Der Baum kommt doch relativ häufig in Nordamerika vor.“

Für den Lebensmittelwissenschaftler sind – wie offensichtlich für das Münchner Gericht – die Argumente von Ritter Sport stichhaltig. „Safrol aus dem Sassafrasbaum ist eine plausible Quelle“, sagt Prof. Dr. Carle und beschreibt die mögliche Gewinnung von Piperonal: Aus dem Sassafrasbaum, der auch Nelkenzimtbaum oder Fenchelholzbaum genannt wird, kann ein Öl gewonnen werden, in dem eine Vorstufe des Piperonal – nämlich das bereits genannte Safrol – vorkommt. Durch einen einfachen Oxidationsschritt kann daraus der gewünschte Aromastoff Piperonal gewonnen werden.

Dass die Firma Symrise, die Ritter Sport mit Piperonal beliefert, ihre Produktionsprozesse sowie die Herkunft und Art ihrer Ausgangsstoffe nicht genau benennt, hat nach Meinung von Prof. Dr. Carle einen guten Grund: Der Stoff Safrol sei schwer zu bekommen. Weil er auch verwendet werden kann, um „Ecstasy“ herzustellen, brauchen Firmen eine betäubungsmittelrechtliche Bewilligung. Zudem wolle Symrise sicherlich nicht die Konkurrenten locken und Produktionsgeheimnisse lüften. Deswegen gebe die Firma lediglich eine Garantie, Piperonal auf biotechnologischem Wege zu gewinnen.

Hintergrund: Vanille-Aroma

Vanille ist das bevorzugte Aroma des Menschen. „Man könnte sagen, wir sind alle vanilleabhängig“, sagt Prof. Dr. Carle. „Es gibt zwei Typen von Vanille: Tahiti-Vanille und Bourbon-Vanille. Piperonal ist nur ein Bestandteil von Vanillearoma und typisch für Tahiti-Vanille. Mit Piperonal können die Lebensmittelhersteller den Vanille-Geschmack ihres Produktes standardisieren."

Vanillin, als Aromastoff in vielen Lebensmitteln verwendet, sei ein meist synthetisch hergestelltes Aroma. Vanillin komme aber auch natürlich in den Früchten einer tropischen Orchidee vor und ist somit sehr kostbar. Der Weltbedarf könne allerdings auf keinen Fall aus dieser Pflanze gedeckt werden. Deswegen werde Vanillin überwiegend künstlich hergestellt, so der Lebensmittelwissenschaftler.

„Aromen haben eine wichtige Bedeutung. Wenn Viehfutter aromatisiert wird, fressen die Tiere ihre Portion vollständig auf und nehmen dadurch mehr an Gewicht zu“, erklärt Prof. Dr. Carle. „Auch für den Menschen haben Aromen eine wichtige Funktion, besonders bei einheitlich aussehenden Produkten wie Schokolade: Da orientiert man sich am Aroma. Bei natürlichen Lebensmitteln wie Erdbeeren kann der Konsument auch anhand der Farbe und der Konsistenz der Frucht feststellen, ob er die Erdbeere essen möchte oder nicht.“

Zur Person

Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhold Carle (63 Jahre alt) ist Inhaber des Lehrstuhls Lebensmittel pflanzlicher Herkunft. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Entwicklung von Methoden zur Authentizitätsprüfung von Lebensmittel, die natürliche Färbung von Lebensmittel, die Verarbeitung tropischer Früchte und die Gewinnung von Wertstoffen aus Rückständen der Lebensmittelverarbeitung. Des Weiteren ist Carle Mitglied der Kommission für Lebensmittelzusatzstoffe, Aromastoffe und Verarbeitungshilfsstoffe des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und war bis 1996 Mitglied des „CONTAM“ Panels der EFSA. Als einer der meistzitierten deutschsprachigen Lebensmittelwissenschaftler ist er Experte des European Research Councils (ERC) zur Begutachtung europäischer Elite-Forschungsanträge.

Kontakt für Medien:
Prof Dr. Dr. h.c. Reinhold Carle, Universität Hohenheim, Lehrstuhl Lebensmittel pflanzlicher Herkunft, Tel.: 0711/459-22314, carle@uni-hohenheim.de


Text: Leihenseder / Klebs
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