Bad Kreuznach (agrar-PR) - Orientierung am Markt und professionelle
Betriebswirtschaft, Kostensenkung und höchste Produktivität,
Spezialisierung und Qualität betrachtet Ökonomierat Norbert Schindler
MdB, Präsident der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz als zentrale
Elemente zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe in
Landwirtschaft und Weinbau. Im Intervie mit dem französischen
Landwirtschaftmagazin Agriculture Internationale zeigte der Präsident
u.a. die Funktion der Landwirtschaftskammer für die Zukunftssicherung
der heimischen Landwirtschaft auf. Die Fragen stellte AI-Chefredakteur
Christian Monvoisin.
Welches sind die wichtigsten Erzeugnisse
des Landes Rheinland-Pfalz und welche davon sind am stärksten von der
derzeitigen Krise betroffen?
Das Bundesland Rheinland-Pfalz wird schon immer
sehr stark von Land- und Forstwirtschaft, von Wein- und Gartenbau
geprägt. Fast 85 Prozent seiner Fläche werden dahingehend genutzt. Die
wichtigsten Erzeugnisse sind Milch und Fleisch aus dem Bereich der
tierischen Produktion sowie Getreide, Zuckerrüben und Kartoffeln aus dem
Bereich Ackerbau. Mit seinen sechs Anbaugebieten ist Rheinland-Pfalz
mit Abstand das größte Weinbau treibende Bundesland mit rd. 65.000
Hektar Rebfläche und ca. 6 Mio. Hektoliter Weinerntemenge pro Jahr. Der
jährliche Milchertrag liegt bei rd. 770.000 Tonnen. Der Ertrag bei
Getreide, einschließlich Mais liegt bei 1,67 Millionen Tonnen/Jahr.
Dazu kommen rd. 280.000 t/Jahr Kartoffeln und 1,2 Mio. t/Jahr
Zuckerrüben. Der Gartenbau erzeugt vor allem Gemüse (rd. 530.000 t/Jahr)
und Obst (rd. 70.000 t/Jahr). Im Forst werden jährlich fast 5 Millionen
Festmeter Holz eingeschlagen. Von den Folgen anhaltend niedriger
Erzeugerpreise sind zunächst alle Bereiche betroffen. Die Preise und in
der Folge die Einkommen der Betriebe sind insgesamt nicht ausreichend,
um die Produktionskosten zu decken und darüber hinaus einen Gewinn zu
erwirtschaften, der notwendig ist, um den Lebensunterhalt der Familien
zu bestreiten und in die Zukunft der Betriebe zu investieren. Besonders
schwierig ist die Situation bei Milchviehbetrieben und den
Schweinehaltern.
Welche Erzeugnisse gehen am besten aus dieser
Krise hervor und welches sind Ihrer Analyse nach die Gründe dafür?
Die Krise
überstehen werden die Betriebe, die ihre Produktion am Markt orientieren
können und die betriebswirtschaftlich professionell geführt werden, und
das bedeutet vor allem, dass sie rationell, mit hoher Kosteneinsparung
und höchster Produktivität, Erzeugnisse in bester Qualität liefern.
Krisenfest sind alle Erzeugnisse, die der Markt auch in Zukunft
nachfragen wird. Das sind die klassischen Nahrungs- und Genussmittel;
das sind zunehmend aber auch nachwachsende Rohstoffe und biologische
Energieträger sowie verschiedene Dienstleistungen von der
Landschaftspflege bis zu touristischen und gastronomischen Angeboten. Im
Food-Sektor wird die Nachfrage wieder steigen, weil das
Qualitätsbewusstsein der Verbraucher wieder steigt und damit auch die
Nachfrage nach hochwertigen, gesunden Nahrungsmitteln mit
Herkunftsnachweis. Im Non-Food-Bereich übt die Endlichkeit fossiler
Rohstoffe und die wachsende Klimaproblematik einen permanenten
Entwicklungsdruck aus. Im Touristik- und Gastronomiesektor ist es das
wachsende Interesse der Kunden an einem authentischen, qualitativ
hochwertigen Angebot zu einem fairen Preis ohne weite Anreisewege, aber
mit einer ehrlichen und persönlichen Betreuung.
Welche Sichtweise nimmt die
Landwirtschaftskammer konkret in dieser Situation ein?
Die Landwirtschaftskammer betrachtet die
Veränderung der Märkte, die Veränderung des Nachfrageverhaltens und den
daraus folgenden strukturellen Wandel als unausweichlich. Es wäre
sinnlos, sich gegen diesen seit Jahrzehnten bereits anhaltenden und
nicht selten schmerzhaften Strukturwandel aufzulehnen. Deshalb halten
wir es für besser, den Wandel anzunehmen und offensiv zu gestalten, wo
immer das möglich ist. Dazu sind natürlich langfristig angelegte,
verlässliche Vorgaben und Rahmenbedingungen durch die Politik
erforderlich, die es den Betrieben ermöglichen realistische und in der
Umsetzung tragfähige Planungen zu erstellen.
Über welche Vorrechte und Mittel verfügen Sie,
um Ihre Landwirte, Erzeuger und Winzer zu unterstützen?
Die
Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz und das in den sechs
Dienstleistungszentren Ländlicher Raum (DLR) angesiedelte
Beratungsangebot des Landes unterstützen die Betriebe in ihrem Bemühen
zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Dazu unterhält die Kammer ein
umfassendes und in sich sehr differenziertes Beratungsangebot von der
allgemeinen Investitions- und Förderberatung über Beratungsangebote in
den Bereichen Bau und Technik sowie Tierzucht bis zur Beratung in Sachen
Direktvermarktung und Einkommensalternativen. Der Schwerpunkt der DLRs
liegt im Bereich Produktionsberatung, Versuchswesen, Forschung und
schulischen Angeboten. Wir gehen davon aus, dass die Zukunft den
hochleistungsfähigen, weitgehend spezialisierten Betrieben gehört, die
sehr stark marktorientiert arbeiten und entsprechend flexibel sind. Die
Betriebe müssen in jedem Bereich professionell aufgestellt sein, vom
Betriebsmanagement über die technische Ausstattung und den rationellen
Einsatz von Energie und Betriebsmitteln bis zu einem umsichtigen
Marketing und einer optimalen Wertschöpfung. Dazu werden bestens
ausgebildete und hochmotivierte Betriebsleiter und qualifizierte
Mitarbeiter benötigt, die wir gemeinsam mit den staatlichen Schulen in
insgesamt 14 verschiedenen Berufen aus- und fortbilden.
Hat der Einsturz des Milchpreises im Jahr 2009
Auswirkungen auf Ihr Quotenaustauschsystem gehabt?
Der Handel mit Milchquoten ist ein Spiegel des
Strukturwandels im landwirtschaftlichen Milchsektor. Kurzfristige Markt-
und Preisentwicklungen spielen da weniger eine Rolle als
Langzeittrends. Die Milchquotenbörse hat sich als Umschlagplatz von
Lieferrechten von den nicht (mehr) melkenden zu den melkenden Betrieben
in der Übergangsphase bis zum Auslaufen der Milchquote 2015 bewährt.
Welche Haltung nehmen Sie in Bezug auf die
Einführung von Verträgen mit vertraglichen Festlegungen ein, die den
Erzeugern Mindestkaufpreise garantieren sollen?
Derartige Verträge, die, beispielsweise bei
Braugerste, vor der Ernte geschlossen werden und der Landwirtschaft
Abnahmemengen und Preise garantieren, nehmen den Erzeugern die
Möglichkeit, auf der Grundlage der zum Erntezeitpunkt gegebenen
Marktsituation einen besseren Preis heraus zu handeln. Sie geben ihnen
aber auch die Sicherheit, mit dem festgelegten Preis kalkulieren und
planen zu können. Bei dieser Frage muss der Landwirt als Unternehmer
abwägen zwischen garantiertem Preis, der möglicherweise unter seinen
Erwartungen liegt, und einem zu erzielenden Preis, der höher liegen
kann, aber auch mit dem Risiko behaftet ist, bis zur Ernte auch fallen
zu können. Wir raten den Betrieben hier in der Regel, für einen Teil der
Ernte Vorträge abzuschließen, um mit einem Teil des Erlöses sicher
kalkulieren zu können, und sich für den anderen Teil der Ernte freien
Verhandlungsspielraum zu erhalten.
Was erwarten Sie von dem neuen Mitglied der
Europäischen Kommission für Landwirtschaft?
Den neuen EU-
Agrarkommissar Dr. Dacian Cioloş konnte ich bei einem längeren Gespräch
in Berlin kennen lernen. Die Vorstellungen von Dr. Cioloş stimmen in
hohem Maße mit meinen Überzeugungen zur zukünftigen Ausgestaltung der
EU-Agrarpolitik nach 2013 überein. Wir werden unsere Vorstellung der
multifunktionalen Landwirtschaft in den nächsten Wochen nachdrücklich in
die Diskussion in Brüssel einbringen. Neben überzeugenden Antworten auf
die Frage nach einer verlässlichen Finanzierungsgrundlage der
europäischen Agrarpolitik konnten bei unserem Gespräch bereits wichtige
Details wie Fragen der Rebpflanzrechte als deutsches Qualitätsspezifikum
oder die Problematik einer Verlängerung des deutschen
Branntweinmonopols angerissen werden, um damit die Kommission für diese
Themen zu sensibilisieren. Kommissar Dr. Dacian Cioloş überzeugte durch
seine Sachkenntnis auch in diesen Details und legte besonderen Wert auf
die Feststellung, dass er nicht als Vertreter Rumäniens sondern
Gesamteuropas auftreten wird. Er wisse sehr wohl um die
unterschiedlichen Interessen der einzelnen Nationen. Auch für ihn sind
die sichere Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Lebensmitteln
und die Sicherung eines angemessenen Einkommens für die Landwirte
zentraler Auftrag für eine zukünftige Agrarpolitik. Es gelte das System
der zwei Säulen der Agrarpolitik unter Beibehaltung des heutigen Niveaus
des Agrarbudgets zu erhalten.