16.06.2009 | 00:00:00 | ID: 864 | Ressort: Landwirtschaft | Agrarwirtschaft

Größe ist in der Landwirtschaft kein Erfolgsgarant

Frankfurt (agrar-PR) - Die aus betrieblichem Wachstum resultierenden Potenziale müssen auch erschlossen werden - Milchmarktkrise macht kurzfristige Anpassungsreaktionen notwendig - An den Agrarmärkten gibt es Signale für steigende Preise - Volles Haus bei der Jahrestagung der Jungen DLG in Bernburg

Größe allein ist in der Landwirtschaft kein Erfolgsgarant. Die aus betrieblichem Wachstum resultierenden Potenziale müssen vielmehr erst erschlossen werden. Auf diese Notwendigkeit hat Henning Pfeiffer zum Auftakt der diesjährigen Jahrestagung der Jungen DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) in Bernburg hingewiesen, die am vergangenen Wochenende Treffpunkt von über 200 landwirtschaftlichen Jungunternehmern und Nachwuchskräften der Agrarwirtschaft aus ganz Deutschland war. Um die sich auch in Krisenzeiten ergebenden Marktchancen zu nutzen, seien gute unternehmerische Konzepte notwendig, betonte der Vorsitzende der Jungen DLG, der im niedersächsischen Clenze einen Ackerbaubetrieb leitet und diesen durch Erschließung neuer Geschäftsfelder erfolgreich weiterentwickelt hat. Volatile Bezugs- und Absatzmärkte erforderten ein funktionierendes Risikomanagement, zunehmende Witterungsrisiken eine Anpassung der Produktionstechnik. Um sich schnell auf neue Marktlagen einstellen zu können, müssten Landwirte fachlich immer auf dem neuesten Stand sein, wozu eine fundierte Ausbildung wichtiger denn je sei.
 
DLG-Vorstandsmitglied René Döbelt aus Nemt in Sachsen verriet seinen jungen Berufskollegen, mit welchen Strategien er die aktuelle Misere am Milchmarkt meistert. Sein Unternehmen stehe auf vier Säulen, so dass niedrige Milchpreise zumindest teilweise durch Gewinne aus anderen Betriebsteilen kompensiert werden könnten, erläuterte Döbelt, der auch Vorsitzender vom DLG-Fachzentrum Landwirtschaft ist. Erträge lieferten nicht nur die Milch, sondern auch der ökologische Marktfrucht- und Gemüsebau, die Direktvermarktung und die Biogasanlage, so dass sich ein innerbetrieblicher Risikoausgleich übers Jahr ergebe. Milchauszahlungspreise um die 20 Cent pro Kilogramm hätten es zusätzlich notwendig gemacht, die spezielle Intensität anzupassen. Einerseits spare der Übergang vom drei- zum zweimaligen Melken Arbeitskräfte. Es werde weniger Milch produziert, was den Einsatz günstiger Futterkomponenten erlaube. Gerade in Krisenzeiten sei es zudem notwendig, auf die Bonität seiner Abnehmer zu achten, so Döbelt: „Was nutzt mir ein Euro mehr für die Tonne Getreide, wenn ich am Ende mein Geld gar nicht bekomme?“ Zudem müsse die betriebliche Investitionsplanung laufend auf den Prüfstand gestellt und gegebenenfalls korrigiert werden. Schwierig werde es für Betriebe, die in der Krise Geld benötigten. „Sprechen Sie mit Ihrer Bank in guten Zeiten“, so der Rat von Döbelt an seine jungen Berufskollegen.
 
Zwischenkorrektur möglich
Im Rahmen der Vortrags- und Diskussionsveranstaltung, die unter dem Generalthema „Willkommen im Jetzt! - Konzepte in Krisenzeiten“ stand, gab Sabine Linker vom Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen einen Überblick über die Agrarmärkte vor der Ernte. Die Marktexpertin hat Signale ausgemacht, dass es mit den Getreidepreisen in den kommenden Monaten bergauf gehen könnte. Das weltweite Getreideaufkommen werde deutlich kleiner ausfallen als im Rekordjahr 2008, wodurch die Getreidepreise Auftrieb erhielten. „Aber Vorsicht: Sollte die Weltwirtschaft in den nächsten Monaten nicht in Schwung kommen, ist eine Zwischenkorrektur möglich“, warnte Linker. Laufend aktualisierte Ernteprognosen hätten bereits vorab zu Preisanpassungen geführt. Die Marktexpertin geht davon aus, dass die Preisausschläge an den Agrarmärkten in Zukunft noch zunehmen, was die Betriebsführung und -steuerung erschwert. In volatilen Märkten werde das richtige Timing beim Einkauf von Betriebsmitteln sowie bei der Vermarktung zu einem wichtigen Kriterium für den Unternehmenserfolg. Deshalb müssten Landwirte lernen, die Preiswirkung bestimmter Marktfaktoren abzuschätzen, wobei das Spektrum vom Dollar übers Rohöl bis hin zu den Frachtraten reiche.
 
Kein Grund zur Euphorie
Die Ursachen der Preisexplosion 2007 seien beim Getreide andere gewesen als bei den Ölsaaten, erläuterte Linker. Bei Raps und Soja habe ein regelrechter Nachfragesog die Preise steigen lassen. Dagegen sei Getreide durch kleine Ernten knapp geworden, was im Vergleich zu Ölsaaten für überproportionale Kursgewinne gesorgt habe. Beim Weizen konstatierte die Agrarexpertin in vielen Anbauländern eine Flächeneinschränkung sowie eine reduzierte Anbauintensität. Daher gingen Analysten für 2009/10 derzeit fast unisono von einer Produktionseinschränkung aus. Einer kleineren Ernte stehe ein steigender Weizenverbrauch gegenüber, was als Signal für einen steigenden Weizenpreis gedeutet werden könne. Aber selbst wenn die globale Weizenproduktion gegenüber der auslaufenden Saison 2008/09 wie prognostiziert um 35 Mio. t schrumpfen sollte, werde immer noch die zweitgrößte Weizenernte aller Zeiten erwartet, weshalb die Fachfrau vor zu viel Euphorie warnte. Große Unbekannte sei das Wetter, das in den kommenden Monaten für heftige Kursausschläge nach oben und unten sorgen könnte. Die Marktexpertin rechnet mit zunehmender Volatilität am Weizenmarkt, auch wenn die Fundamentaldaten wieder eine stärkere Berücksichtigung finden dürften als zum Höhepunkt der Finanzkrise.
 
Erschwernis: Heftig schwankende Betriebsmittelpreise
Als Ursachen für den auch für viele Analysten überraschenden Preisanstieg beim Raps hat Frau Linker die steigenden Notierungen im „US-Sojakomplex“ sowie die wieder anziehenden Rohölpreise ausgemacht. Sie geht davon aus, dass der Raps in den kommenden Monaten ein gewisses Eigenleben entwickelt. Für steigende Preise bei unserer wichtigsten Ölfrucht sprechen die voraussichtlich kleineren Rapsernten in der Ukraine sowie in Kanada, da die beiden Länder den Exportmarkt dominieren. Andererseits sei die Nachfrage nach Biodiesel hierzulande weiter schwach. Zudem werde in der EU eine Rapsernte auf Vorjahresniveau erwartet, die demnächst auf einen schon jetzt überversorgten Markt dränge. Wohin die Reise bei den Rapskursen geht, hängt aus Sicht von Frau Linker entscheidend von der Kursentwicklung bei Rohöl und Dollar ab, die kein Marktexperte der Welt vorhersagen könne. Erschwert werde die Kalkulation auf den landwirtschaftlichen Betrieben durch die inzwischen ebenfalls heftig schwankenden Betriebsmittelpreise. „Beim Dünger konnte man zeitweise den Eindruck gewinnen, dass die Hersteller nicht mit Pflanzennährstoffen handeln, sondern auf einer Goldmine sitzen“, kommentierte Frau Linker den rasanten Preisanstieg im vergangenen Herbst. Durch die Rekordrallye sei der Absatz so stark eingebrochen, dass die Düngerlager in den Produzentenländern voll seien. Dadurch sei beispielsweise der Preis für geprillten Harnstoff fob Schwarzmeerhafen innerhalb weniger Monate um fast drei Viertel eingebrochen.
 
Auf die Vermarktungsstrategie kommt es an
Schlüsselprodukt für die weitere Entwicklung der Agrarrohstoffpreise ist nach Überzeugung der Fachfrau das Rohöl. Zwar zeige der Preistrend bei fossilen Energien weiter nach oben. Die Rallye sei aber instabil, womit die Gefahr von Preisrückschlägen bei energiebasierten Rohstoffen wie Mais oder Raps steige. Eine Kenngröße, an die sich Landwirte bei der Beurteilung von Agrarpreisen erst noch gewöhnen müssten, seien die Frachtraten. Seit einigen Monaten werde Schiffsraum wieder knapper, was auf den wieder zunehmenden Bedarf Chinas an Eisenerz und Stahl zurückzuführen sei. Dies könne als Vorbote eines Aufschwungs auch an den Agrarmärkten gewertet werden. Langfristig spreche auf der Nachfrageseite alles für einen Preisanstieg bei Agrarrohstoffen. Die FAO rechne durch das anhaltende Bevölkerungswachstum bis 2030 mit einem Mehrbedarf von 30 %. Sollte es so kommen, wären die von vielen Regierungen proklamierten Biokraftstoffziele zum Scheitern verurteilt. Preis treibend wirke auch die Tatsache, dass Agrarrohstoffe auf der Welt ungleich verteilt seien. Die Globalisierung sei auch in der Landwirtschaft angekommen, wodurch die Agrarmärkte aber nicht freier geworden seien. Vielmehr habe der Einfluss der Politik auf die Preisbildung bei vielen Agrarrohstoffen sogar noch zugenommen, beispielsweise durch Anbauverbote für gentechnisch veränderte Pflanzen oder die Gesetzgebung im Bereich Bioenergie. Durch die weltweit zunehmenden Wetterkapriolen müsse von Jahr zu Jahr mit ausgeprägteren Mengenschwankungen gerechnet werden, weshalb stärkere Preisbewegungen vorprogrammiert seien, sagte die Expertin voraus. Daher werde die richtige Vermarktungsstrategie künftig eine viel größere Bedeutung für den betrieblichen Erfolg haben.
 
„Kritische Größe“ anstreben
Für René Döbelt ist Marktwirtschaft gleichbedeutend mit Nischenwirtschaft. Für ihn sei es wichtig, in jedem Betriebszweig so gut zu sein, dass Wettbewerber ihn nicht herausdrängen könnten. Ob dies über Qualitäts- oder Kostenführerschaft gelinge, sei letztlich zweitrangig. Unabdingbar für eine erfolgreiche Betriebsführung ist aus Sicht des Vollblutunternehmers auch die Nutzung von Verbundeffekten, beispielsweise über die Verwertung von Gülle in der Biogasanlage und anschließende Nutzung der Gärreste als Dünger auf dem eigenen Acker. Döbelt geht davon aus, dass ein landwirtschaftliches Unternehmen heute eine „kritische Größe“ haben sollte. Denn nur dann könne technischer Fortschritt genutzt werden, um dauerhaft wettbewerbsfähig zu bleiben. Diese kritische Größe könne über einzelbetriebliches Wachstum, aber ebenso gut über Kooperationen erreicht werden. In seinem eigenen Betrieb sei jeder Betriebszweig groß genug, einen eigenen Spezialisten tragen zu können, der sich voll auf seinen Bereich konzentrieren könne. Dies versetze ihn selbst in die Lage, sich auf die strategische Ausrichtung des Gesamtunternehmens, das Risikomanagement sowie Finanzierungsfragen konzentrieren zu können.
 
Wach im Fach
Neben der Unternehmerpersönlichkeit ist fachliche Exzellenz für Döbelt das A und O der erfolgreichen Unternehmensführung. „Wach im Fach“ müsse das Motto lauten, wozu auch das Netzwerk in der DLG einen großen Beitrag leiste. Bei der Führung von Mitarbeitern sei es notwendig, diese mitzureißen. „Nur gemeinsam kommt man zum Ziel“, betonte Döbelt. Zwar sei die Landwirtschaft eine Technologie getriebene Branche. Trotzdem müsse ein erfolgreicher Betriebsleiter wissen, wann es Zeit für eine Konsolidierungsphase sei und wann für den nächsten Wachstumsschritt. Döbelt gab seinen jungen Kollegen den Rat mit auf den Weg, geplante Investitionen vorab sauber durchzurechnen. Eine Grenzkostenkalkulation helfe bei der Abschätzung des Risikos enorm. Ebenso wichtig sei eine fristenkongruente Finanzierung. Eine rasche Tilgung sei der Schlüssel, den Betrieb krisensicher zu machen. „Tilgen Sie aus Abschreibung und Gewinn, auch wenn zeitweise weniger Geld in der Kasse ist, empfahl Döbelt. Nicht nur in der Industrie oder im Handel, sondern auch in der Landwirtschaft sei ein Wachstumsschritt zum falschen Zeitpunkt oder mit der falschen Finanzierung fatal. Antizyklisches Wachstum sei die hohe Kunst, womit vor allem die Milcherzeuger bisher keine Erfahrung hätten. Wachstum dürfe vor allem nicht dazu führen, dass das Unternehmen aufs Spiel gesetzt werde. Deshalb muss es auch einen Ausweg geben, sollte der „Worst Case“ auf der Kosten- oder Erlösseite eintreten. Allerdings habe auch er nicht mit einem Milchpreis von 20 Cent pro Kilogramm kalkuliert, räumte Döbelt ein.
 
Nach der Krise ist vor der Krise
Kurz vor der mittlerweile achtzehnten Ernte im eigenen Betrieb steht für Döbelt fest, dass nach der Krise immer auch vor der Krise ist. Daher laute für ihn ein wichtiges unternehmerisches Motto „Tilgen, Tilgen, Tilgen“, um sich finanziellen Spielraum zu sichern. Eine starke Eigenkapitalbasis sei der beste Schutz vor unvorhergesehenen Ereignissen wie dem Einbruch der Milchpreise. Auch in der momentan schwierigen Situation am Milchmarkt werde in seinem Unternehmen investiert, wobei auf einen hohen Grenznutzen der Investition geachtet werde. Nächstes Projekt sei beispielsweise die Erweiterung der Beregnungsfläche, was sich beim Anbau von Biogemüse in einem einzigen trockenen Jahr bezahlt mache. Einen hohen Stellenwert hat für den Landwirt in der Krise die Motivation seiner mittlerweile 40 Mitarbeiter, denen er immer wieder sage, man werde die aktuelle Milchkrise – wenn auch mit Blessuren – überstehen. Auf Hilfe durch die Politik setzt Döbelt trotz aller Schwierigkeiten nicht. Politiker sollten Leitplanken einschlagen und sich für faire Wettbewerbsbedingungen einsetzen. Der Ruf nach der Politik habe zu allen Zeiten den Strukturwandel verlangsamt, so dass sich die guten Betriebe nicht so schnell hätten durchsetzen können, so Döbelt abschließend, der trotz der aktuell schwierigen Lage optimistisch in die Zukunft blickt.
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