09.11.2009 | 13:01:00 | ID: 3536 | Ressort: Landwirtschaft | Agritechnica

Landtechnik für veränderte klimatische Bedingungen – Boden und Wasser im Fokus

Hannover (agrar-PR) - Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karlheinz Köller, Universität Hohenheim, Stuttgart

Mit dem Einfluss des Klimawandels auf Temperaturverläufe und Niederschlagsverteilungen verändern sich regional und weltweit die Anbaubedingungen für die wichtigsten Kulturpflanzen mit ökologischen und ökonomischen Konsequenzen nicht nur für die Landwirtschaft, sondern für die gesamte Gesellschaft (Hochwasserschäden, Lebensmittelpreise usw.). Ressourceneffiziente, boden- und wasserschonende Pflanzenproduktion ist die Basis für eine nachhaltige, sowohl ökologischen als auch ökonomischen Forderungen entsprechenden Landwirtschaft. Diese Art der Landbewirtschaftung wird zu Recht als Präzisionslandwirtschaft bezeichnet. Kern dieser Präzisionslandwirtschaft ist die innovative Landtechnik, die sich auf der diesjährigen Agritechnica in überzeugender und begeisternder Weise präsentiert.

 
Boden und Wasser schonende Pflanzenproduktion
Vor dem Hintergrund weltweit anhaltender Bodenzerstörung durch Erosion, Versalzung, Wassermangel, Wasserverschmutzung, Bebauung usw. sowie den erkennbaren Folgen des Klimawandels bleibt der konsequente Boden- und Wasserschutz weltweit die wichtigste Herausforderung und Aufgabe zur Sicherung einer nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion und Ernährungssicherung. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen weltweit konsequente Maßnahmen zur Vermeidung von Bodendegradation und Wasserverschwendung entwickelt und umgesetzt werden. Das bedeutet für die landwirtschaftliche Pflanzenproduktion eine Steigerung der Effizienz in sämtlichen Teilbereichen von Bodenbearbeitung über Saat, Düngung und Pflanzenschutz bis hin zur Bewässerung mit dem Ziel, die Anzahl der Überfahrten auf dem Acker sowie den Aufwand an Betriebsmitteln zu reduzieren. Die Ergebnisse sind weniger Bodenerosion und -verdichtung, weniger Arbeitszeit, geringerer Energie- und Kraftstoffverbrauch, weniger Dünge- und Pflanzenschutzmittel und weniger Wasser bei gleichbleibenden oder steigenden Erträgen. Diese Ziele und Ergebnisse lassen sich nur mit intelligenter Technik, zunehmendem Einsatz von Sensoren, Informationstechnologien und weiterer Automatisierung von Arbeitsprozessen, verbunden mit teilschlagspezifischen Bewirtschaftungsstrategien erreichen. Über die Kombination und Weiterentwicklung dieser Bausteine entwickelt sich die Landwirtschaft mehr und mehr zu einer Präzisionslandwirtschaft.
 
Innovativer Bodenschutz
Die wichtigsten Maßnahmen für eine nachhaltige Landbewirtschaftung sind eine ganzjährige Bedeckung des Bodens mit Pflanzen oder Pflanzenresten sowie eine möglichst geringe Intensität der Bodenbearbeitung. Entsprechende Verfahren sind konservierende Bodenbearbeitung und Direktsaat, die zwar weltweit verbreitet, aber regional in unterschiedlichem Umfang und mit unterschiedlicher Technik realisiert werden.
 
Der wichtigste Grund, weltweit gesehen, sich für konservierende Bodenbearbeitung und Direktsaat zu entscheiden, ist Bodenerosion durch Wasser und Wind. Erosion tritt bei landwirtschaftlicher Nutzung von Flächen fast immer auf. Für eine nachhaltige Landnutzung sollte die tolerierbare Erosion zusammen mit dem natürlichen Bodenabtrag geringer als die Bodenneubildung sein. Wenn man beispielsweise davon ausgeht, dass die meisten Böden in Mitteleuropa für ihre Entwicklung rund 10 000 Jahre benötigt haben, und die Masse des obersten Bodenhorizontes (Lagerungsdichte 1,5 kg/dm3, Mächtigkeit 20 cm) rund 3 000 t/ha beträgt, darf die Erosion für eine nachhaltige Bewirtschaftung nicht wesentlich über 400 kg pro Hektar und Jahr liegen. In der Praxis werden hingegen in gemäßigten Breiten, je nach Standort und Intensität der Bodenbearbeitung 10 bis 30 t Boden pro Hektar und Jahr abgetragen, wobei in Einzelfällen auch wesentlich höhere Werte auftreten können. In tropischen Regionen ist der mittlere Bodenabtrag noch deutlich höher, im Mittel 70 t Bodenabtrag pro Hektar und Jahr bei konventioneller Bodenbearbeitung. Die natürliche Bodenneubildung beträgt auch in diesen Regionen selten mehr als 2 t pro Hektar und Jahr.
 
CO2-Bilanz im Fokus
Durch den verringerten Kraftstoffbedarf und die Humusanreicherung weisen die in konservierender Bodenbearbeitung oder Direktsaat bewirtschafteten Flächen große Vorteile in der CO2-Bilanz auf. Auf zuvor bearbeiteten Böden ist nach der Umstellung auf Direktsaat mit einer Humusakkumulation zwischen 0,6 und 1,8 t pro Hektar und Jahr zu rechnen. Pro Tonne Humus werden bei einem mittleren Kohlenstoff-Gehalt von 55 % rund 2 t CO2 gebunden. Wenn nun der Humusgehalt nach einer Umstellung auf Direktsaat jährlich um eine t/ha ansteigt, könnten, bezogen auf die gesamte Ackerfläche in Deutschland, rund 23 Mio t CO2 pro Jahr, das sind 2,3 % der Gesamtemission, gebunden werden. Da ein Anstieg von zwei % Humus (? 60 t/ha) durchaus möglich ist, kann diese Akkumulation über mehrere Jahrzehnte andauern. Langfristig stellt sich aber auch hier ein dem Bodenbearbeitungssystem entsprechendes Gleichgewicht zwischen Humusabbau und Humusbildung ein.
Weltweit gehen jedes Jahr 5 bis 7 Mio. ha landwirtschaftliche Nutzfläche verloren
Bei weiter anhaltender Bodenzerstörung im derzeitigen Tempo gehen weltweit in jeder Stunde etwa 900 Hektar Acker- und Grünland verloren, Tag für Tag rund 22 000 Hektar. In Deutschland werden täglich etwa 120 Hektar Boden durch Beton und Asphalt versiegelt. Nach Untersuchungen gehen jedes Jahr 5 bis 7 Mio. ha landwirtschaftliche Nutzfläche verloren, mit steigender Tendenz. Auf einer wesentlich größeren Fläche ist die Bodenproduktivität deutlich gemindert (Bodendegradation). Dies führt zu sinkenden Erträgen, abnehmender Ertragssicherheit und zu immer höheren Aufwendungen für die Produktion. Überweidung, Entwaldung und unsachgemäße landwirtschaftliche Nutzung sind die Hauptursache für diese Ressourcenzerstörung, die überwiegend durch Bodenabtrag - Wasser- und Winderosion - und durch Nährstoffverarmung stattfindet. Die Bodendegradation trägt auch zur weltweiten Klimaveränderung bei.
 
Bereits heute Kämpfe um Boden und Wasser
Die Kernfrage für die Zukunft lautet: Wie produziert man immer mehr Nahrungsmittel auf immer weniger Land, mit immer weniger Wasser? Ohne eine rasche und gewaltige Steigerung der Mittel für Ausbildung, Forschung und Beratung zur weltweiten Sicherung der Grundnahrungsmittelversorgung werden Hungerkatastrophen, soziale Verwerfungen, Wanderungsbewegungen und bürgerkriegsähnliche Zustände den Alltag vieler Länder beherrschen. Kämpfe um bessere Böden und Wasser gibt es in zahlreichen Ländern schon heute. Sie werden nicht ohne Einfluss auf die Industrieländer bleiben. Diese werden sich nicht der Verpflichtung entziehen können, die ländliche Entwicklung weltweit massiv zu fördern, sowie boden- und wasserschonende Landbewirtschaftungsmethoden auf breiter Basis nachhaltig zu finanzieren und umzusetzen.
 
Ernährung der Menschheit bald nicht mehr gewährleistet
Boden ist die unersetzbare Grundlage der Nahrungsmittelproduktion. Daneben ist die Gewinnung einer Vielzahl von Rohstoffen ohne Boden nicht möglich. Boden ist eine nicht erneuerbare Ressource, d.h. einmal zerstörter Boden ist unwiederbringlich verloren. Die Neubildung einer fruchtbaren Bodenkrume durch Verwitterung benötigt je nach Klima und Ausgangsmaterial zwischen 3.000 und 15.000 Jahren. Gegenwärtig leben rund 6 Mrd. Menschen auf der Erde. Ihnen stehen etwa 1,5 Mrd. Hektar Acker- und Grasland zur Produktion von Nahrungsmitteln und Rohstoffen zur Verfügung, das sind rund 2500 m² pro Kopf. Unterstellt man, dass im Durchschnitt auf dieser Fläche, abzüglich der Verluste, Nahrungsmittel mit dem Nährwert von 500 kg Getreide pro Jahr geerntet werden, so ist, von den Verteilungsproblemen einmal abgesehen, eine ausreichende Ernährung aller Menschen möglich. Wenn aber nun die Zahl der Menschen weiterhin mit etwa 1,7 % pro Jahr zunimmt, so ist, selbst bei ansteigenden Erträgen (in den letzten Jahren stagnieren die Erträge allerdings), die Ernährung der Menschheit schon bald nicht mehr gewährleistet. Dieses Problem wird durch die zunehmende Bodenzerstörung noch drastisch verschärft.
 
Standortspezifische Bodenbearbeitung und Saat
Zur Realisierung der genannten Ziele stehen den Landwirten weltweit innovative technische Lösungen für die Bodenbearbeitung und Saat zur Verfügung. Wichtigste Voraussetzung für einen nachhaltigen Schutz des Bodens vor Erosion ist eine ausreichende Bedeckung des Bodens mit Pflanzenresten, z.B. Stroh, das nach der Ernte auf dem Feld verbleibt. Je nach Boden, Niederschlag und Standort (Hanglänge und -neigung) ist ein unterschiedlicher Bedeckungsgrad erforderlich. Je flacher die Bearbeitung, umso höher ist der Bodenbedeckungsgrad und der Schutz vor Erosion. Je tiefer die Bearbeitung, umso geringer ist die Strohauflage. Unter Berücksichtigung von Strohertrag und Hangneigung lässt sich z.B. die Bearbeitungstiefe eines Grubbers mittels elektronischer Regelung und entsprechender Steuerungssoftware stufenlos variieren. Basis hierfür ist eine mit einem speziellen Kamerasystem erstellte, georeferenzierte Strohbedeckungskarte. Entsprechende Kamerasysteme werden heute bereits für verschiedene Funktionen bei Erntemaschinen, Düngerstreuern und im Pflanzenschutz verwendet. Ziel ist, auch für die Bodenbearbeitung ein System zu entwickeln, das eine Online-Regelung des Gerätes in Abhängigkeit von der aktuellen visuellen Erfassung der Strohauflage ermöglicht. Abgesehen von den genannten Vorteilen bezüglich des Erosionsschutzes ermöglicht die ortspezifische Bodenbearbeitung deutliche Einsparungen an Kraftstoff und Arbeitszeit.
 
Effizientere Nutzung des im Boden gespeicherten Wassers
Verfahren der konservierenden Bodenbearbeitung und Direktsaat führen nicht zu den genannten Vorteilen beim Erosions- und Hochwasserschutz, der CO2-Bindung sowie Einsparungen an Arbeitszeit, Energie und Kosten, sondern leisten auch einen entscheidenden Beitrag zur effizienteren Nutzung des im Boden gespeicherten Wassers. Dieser Aspekt gewinnt weltweit zunehmend an Bedeutung. Bedingt durch den höheren Anteil organischer Substanz und geringere Evaporation ist der Anteil pflanzenverfügbaren Wassers um etwa 30 % höher als bei konventioneller Bewirtschaftung. Diese Differenz entscheidet in trockenen Jahren über die Höhe des Ernteertrages und den wirtschaftlichen Erfolg. Aber nicht nur für die Ernte, auch für die Saat ist der aktuelle Bodenfeuchtegehalt von entscheidender Bedeutung. Neben der Bodenart, der Bodenbedeckung und Bodentemperatur kann auch die Bodenfeuchte schon auf kleinem Raum stark variieren und die Keim- und Wachstumsbedingungen der Pflanzen beeinflussen. Neben der Temperatur ist die Bodenfeuchte der wichtigste Keimfaktor. Die für die Keimung erforderliche Wasserversorgung des Samens wird entscheidend von der Saattiefe bestimmt. Eine Bodenfeuchte abhängige Regelung der Saattiefe könnte z.B. auf Trockenstandorten mit begrenztem Wasserangebot bei der Saat entscheidende Vorteile bewirken. In Verbindung mit dynamischen, in Echtzeit messenden Feuchtesensoren ließe sich eine teilflächenspezifische Saattiefenregelung mit einem Höchstmaß an gekeimten Samen realisieren. Entsprechende Messsysteme, wie z.B. Time Domain Reflectometry (TDR), sind vorhanden und werden in verschiedenen Bereichen mit Erfolg eingesetzt, z.B. im Beregnungsmanagement.
 
Präzissionsbewässerungssysteme
Der vorherzusehende Zuwachs der Weltbevölkerung auf 9 Mrd. Menschen im Jahre 2050 erfordert eine Verdoppelung der Produktion von Lebens- und Futtermitteln sowie von Rohstoffen für die Energieerzeugung. Bewässerung wird zu einem Schlüsselfaktor für die Steigerung der Agrarproduktion. Heute werden etwa 20 % der globalen Ackerfläche bewässert. Auf dieser Fläche werden 40 % der globalen Pflanzenerträge produziert. Andererseits werden bereits heute 70 % des weltweit zur Verfügung stehenden Frischwassers in der Landwirtschaft verwendet, und Wasser (Nutzung und Verteilung) stellt eines der weltweit größten Konfliktpotenziale dar. Die Entwicklung und Realisierung effizienter Bewässerungs- und Beregnungssysteme sind von essenzieller Bedeutung für die weltweite Ernährungssicherung. Als technische Lösungen bieten sich z.B. teilflächenspezifische Applikationssysteme in Verbindung mit dynamischen Feuchtesensoren (z.B. TDR) und drahtloser Informationsübertragung (Sensornetzwerke) an. Die zunehmende globale Bedeutung der Entwicklung innovativer Bewässerungssysteme spiegelt sich auch in entsprechenden unternehmerischen Aktivitäten. So hat sich z.B. die Firma John Deere in den vergangenen drei Jahren mit den John Deere Water Technologies zum weltweit drittgrößten Anbieter von Bewässerungstechnologien entwickelt.
 
Auch die Wasserqualität gewinnt an Bedeutung
Neben einer effizienten Wasserapplikation gewinnt auch die Wasserqualität zunehmende Bedeutung. Unter Ackerland findet die stärkste Grundwasserneubildung statt. Damit tragen Landwirte eine hohe Verantwortung für die Bereitstellung qualitativ hochwertigen Trinkwassers. Grundwasserschonende Bewirtschaftungsmaßnahmen, besonders bei Düngung und Pflanzenschutz, gewinnen deshalb zunehmende Bedeutung. Teilflächenspezifische Applikation von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, basierend auf sensor- und computergesteuerten Regelungseinrichtungen, ist für viele Landwirte mittlerweile Stand der Technik. Gesetzgeberische Vorgaben für das Grenz- und Randstreuen bei Ausbringung von Düngemitteln oder für den nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln treiben die technische Entwicklung voran und führen zu weiteren Innovationen bei der Gerätetechnik. Zunehmende Präzision bei Dosierung und Applikation werden durch Elektronik und Computersteuerungen realisiert. Wichtige Neuerungen sind hier in den Bereichen DPGS-Steuerungen und ISOBUS-Terminals festzustellen. Darüber hinaus ermöglichen neue Datenbanksysteme die Steuerung und Dokumentation von Düngungs- und Pflanzenschutzmaßnahmen.
in beeindruckender Weise werden im Rahmen der „World Soil and Water Show“ auf der diesjährigen Agritechnica die genannten Themen im weltweiten Kontext als Aufgabe höchster Priorität mit globalen Herausforderungen an Forschung, Entwicklung, Praxis und Politik dargestellt. Die Show zeigt weltweite, innovative Ideen und Konzepte zur Vermeidung der Bodenzerstörung und zur wassereffizienten Produktion.
 
Pressekontakt
Herr Friedrich W. Rach
Telefon: 069-24788-202
Fax: 069-24 788-112
E-Mail: f.rach@DLG.org
Pressemeldung Download: 
Agritechnica
Agritechnica
Messegelände
30521 Hannover
Deutschland
Telefon:  +49  0511  89-0
Web:  www.agritechnica.com
>>>  Pressefach


© proplanta 2006-2024. Alle Rechte vorbehalten.