Darmstadt (agrar-PR) - Bis zu welchem Grad kann automatisierte Technik menschliche Handlungen
in der landwirtschaftlichen Produktion ersetzen? Wie weit sind die
Verfahren und Anwendungen entwickelt? Welche Besonderheiten im Vergleich
zu konventioneller Agrartechnik gilt es zu beachten? Antworten auf
diese und andere Fragen gab es bei den diesjährigen KTBL-Tagen unter dem
Leitthema „Automatisierung und Roboter in der Landwirtschaft" in
Erfurt. Im Verlauf der von 200 Teilnehmern besuchten Veranstaltung des
Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft wurde
deutlich: Einerseits besteht noch ein enormer Forschungs- und
Entwicklungsbedarf bei den Automatisierungs-Technologien. Andererseits
führt kein Weg am Trend zur Automatisierung der Landtechnik vorbei.
Automatisierung in der Innenwirtschaft
Im Bereich Tierproduktion sind Melkroboter das prominenteste
Beispiel für die Automatisierung in der Landwirtschaft. „Fast 40 Prozent
aller Neuinvestitionen im Bereich Melken sind Automatische Melksysteme,
also Melkroboter", berichtete Dr. Jan Harms in Erfurt. Er machte
allerdings darauf aufmerksam, dass ihr Einsatz nicht unbedingt die
Zeitersparnis bringt, die manche Landwirte vielleicht erhoffen. Weniger
Zeit im Melkstand zu verbringen bedeutet nach seinen Ausführungen, mehr
Zeit in das Herden- und Maschinenmanagement zu investieren, so dass
unter dem Strich nur 1/3 bis 1/4 des Zeitgewinns durch Wegfall der
Melkarbeit wirklich verfügbar ist. Je knapper und damit teurer die
Arbeitszeit ist, um so schneller macht sich die Melkrobotik, wie andere
Automatisierungen auch, bezahlt, konstatierte Prof. Dr. Enno Bahrs.
Auch in anderen Bereichen der Innenwirtschaft zeichnen sich Trends zur
Automatisierung ab. „Bei fast allen Tierarten wird heute das Füttern und
Entmisten der Ställe automatisch durchgeführt", fasste Dr. Christine
Rösch zusammen. Ganz allgemein sollten im Mittelpunkt des individuellen,
von automatischen Systemen unterstützten Kuh-Managements die kritischen
Prozesse Fütterung, Brunst und Abkalbung sowie Indikatoren für die
Gesundheit stehen, stellte Dr. Kees Lokhorst fest.
Automatisierung in der Außenwirtschaft
„Die Entwicklung autonomer
Feldroboter stellt die nächste Stufe der notwendigen Automatisierung in
der Landtechnik dar", davon zeigte sich Prof. Dr. Arno Ruckelshausen
überzeugt. Erste, robuste Prototypen für spezifische Applikationen (z.
B. Einzelpflanzenerkennung und Bonitur/Pflanzenphänotypisierung in der
Pflanzenzüchtung und im Feldversuchswesen) sind nach seinen Ausführungen
in den nächsten 5 Jahren zu erwarten. Bei kleinen, autonomen
Feldrobotern, wie sie z. B. auf den FieldRobotEvents an den Start gehen,
sind Fragen der Fortbewegung, der Energieversorgung und der
Kontrolle/Überwachung weitgehend gelöst, fasste Dr. Thomas Vögele
zusammen. Forschungsbedarf sah er vor allem noch in den Bereichen
autonome Problemlösung und kooperatives Verhalten. Als Beispiel der
Automation aus einem anderen Bereich der Pflanzenproduktion ist die
vollautomatische Wagenbefüllung im Häckslereinsatz bereits heute
serienreif verfügbar, berichtete Alexander Kirchbeck.
Relativ weit entwickelt sind heute auch schon teilautonome Systeme, z.
B. die sogenannte „elektronische Deichsel" für Arbeitsmaschinen. Sie
koppelt über eine Funkverbindung ein unbemanntes an ein bemanntes
Fahrzeug, wobei Geschwindigkeit und ausgewählte Bedienfunktionen von
dessen Fahrer gesteuert werden. Da bei der „elektronischen Deichsel" ein
Fahrer zwei Maschinen gleichzeitig bedient, können bis zu 50 Prozent
der Lohnkosten eingespart werden, machte Dr. Patrick Ole Noack deutlich.
Schlüsseltechnologie SensorenEin unverzichtbares Bauteil in der
Automation und Robotik sind Sensoren. Im Rahmen der KTBL-Tage kamen
diverse Neuentwicklungen zur Sprache. Bei Automatischen Melksystemen
werden nach Angaben von Dr. Jan Harms zukünftig Sensoren für den Gehalt
der Milch an Laktose, Harnstoff, Progesteron, Ketonkörpern oder Enzymen
verfügbar sein. Bei der Fütterungstechnik sind u. a. Wiederkausensoren
und die Positionsbestimmung der Tiere innerhalb von Gebäuden in der
Entwicklung.
Für Sensoren in der Schweinehaltung im Rahmen des sogenannten Precision
Livestock Farming (PLF) sah Prof. Dr. Eberhard Hartung mehrere
zukunftsweisende Einsatzbereiche. Neben Systemen der Tierortung und
spektroskopischen Verfahren zur Bestimmung von Inhaltsstoffen z. B. von
Futtermitteln oder Flüssigmist nannte er diverse Möglichkeiten der
Gesundheitskontrolle: Bildanalyse zur Überwachung des Wachstums,
akustische Detektion von Husten und Stresslauten, automatisierte
Östrusbestimmung und Body Conditioning Scoring (BCS) bei Sauen sowie
Thermographie zur Früherkennung von Entzündungen.
Aus dem Bereich der Krankheitsbekämpfung stellte Prof. Dr. Jürgen Popp
in Aussicht, dass es bald möglich sein wird, auf Basis der sogenannten
Raman-Spektrosokopie mikrobielle Kontaminationen automatisiert mit sehr
großen Probenzahlen zu analysieren.
Grenzen von Mensch und Technik
Aus Sicht der Praxis verwies in
Erfurt Dr. Hartwig Kübler auf den begrenzenden Faktor Mensch bei der
Automatisierung. Er hat als Unternehmer die Erfahrung gemacht, dass es
nicht leicht ist, Fachkräfte für die Bedienung der hochkomplexen
Maschinen zu gewinnen.
Um die Menge und Qualität der mit zunehmender Automatisierung in der
Landtechnik anfallenden Daten und Informationen erfolgreich handhaben zu
können, sind Landwirte und leitende Mitarbeiter gefordert, sich
entsprechende Zusatzqualifikationen zu erwerben. Die Bereitschaft zu
lebenslangem Lernen zählte Prof. Dr. Reiner Doluschitz hierzu ebenso wie
Risikobereitschaft und -management sowie Informations- und
Kommunikationskompetenz. Prof. Dr. Thomas Maier forderte, dass sich
Maschinendesigner an den ergonomischen und kognitiven Möglichkeiten und
Grenzen der Menschen orientieren müssen.
Mehrfach beklagt wurde im Rahmen der KTBL-Tage, dass Geräte
verschiedener Hersteller immer noch nicht problemlos miteinander
kommunizieren können.
Chancen, aber auch Risiken der Robotik beleuchtete Prof. Dr. Stefan
Böttinger in seinem Vortrag. Dass auf freiem Feld noch keine komplett
automatisierten Maschinen zum Einsatz kommen, begründete er u. a. mit
ungelösten Sicherheitsfragen.
Automatisierung in globaler Perspektive
Global betrachtet ist die
Automatisierung kein Allheilmittel gegen Nahrungsmangel und
Energieknappheit. „Es wäre völlig abwegig, die rund 400 Millionen
Kleinbauern auf dieser Welt mit Computern und Feldrobotern ausstatten zu
wollen", machte Ministerialrat Stefan Schulz deutlich. Dennoch braucht
die Menschheit eine hocheffiziente und intensive Landwirtschaft zur
Versorgung der übrigen Weltbevölkerung, die keinen Zugang zur
Landwirtschaft hat. Mit Blick auf Deutschland zeigte sich Stefan Schulz
überzeugt: „Der Einsatz von Spitzentechnologie ermöglicht den Erhalt des
mittelständischen Landwirtschaftsbetriebs".
Der Tagungsband „Automatisierung und Roboter in der Landwirtschaft"
(175 S., 24 €, ISBN 978-3-941583-36-8, Best.-Nr. 11480) ist erhältlich
beim KTBL e.V., Tel. 06151/7001-189, E-Mail:
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