Bonn (agrar-PR) - Als das Erntedankfest im Königreich Preußen
1773, also vor mehr als 200 Jahren erstmalig auf seinen festen Termin
festgelegt wurde, waren reiche Ernten selten, hingegen Missernten mit
Teuerungen und Hungersnöten keineswegs ungewöhnlich.
Eine gute Ernte galt als Glücksfall, für den Landwirt und Städter
zutiefst dankbar waren. Heute leben wir in einer Zeit des Überflusses
und globaler Märkte mit reich gedeckten Tischen. Vor diesem Hintergrund
stellt sich die Frage: Ist Erntedank heute überhaupt noch zeitgemäß?
Gut gefüllte Lebensmittelregale zu jeder Jahreszeit und hohe
Lebensmittelqualität zu relativ geringen Preisen lassen allzu schnell
Gleichgültigkeit für Erntedank aufkommen.
Dennoch ist die Berechtigung von Erntedank aktuell geblieben. Das
gilt insbesondere für Landwirte. Denn der Erfolg ihrer Arbeit bleibt in
hohem Maße von Natur und Wetter abhängig. Wer wochenlang auf wärmeres,
sonnenreiches Wetter, danach auf Regen vielleicht gewartet hat und dann
wieder um gutes Erntewetter zittern musste, sieht eine gute Ernte in
einem anderen Licht. Für ihn gibt es Grund zur Dankbarkeit.
Trotzdem: In diesem Jahr wird etlichen Bauernfamilien Erntedank
schwer fallen. Zwar konnten die Landwirte eine gute bis sehr gute
Getreideernte einfahren - aber die Preisentwicklungen in fast allen
Bereichen machen den Bauern schwer zu schaffen. Gegenwärtig geht auf
den landwirtschaftlichen Betrieben wenig so richtig zusammen. Die
erzielten Marktpreise bei Getreide, Obst, Gemüse oder Raps sind ein
Alptraum. Bei den Milchbauern sieht es keinen Deut besser aus.
Insofern sollte das Erntedankfest Gelegenheit sein, um intensiv an
den Wert der Lebensmittel an sich zu erinnern. In Deutschland werden
Lebensmittel immer noch über den Preis und weniger über die Qualität
im Lebensmitteleinzelhandel ausgelobt. Dauerniedrigpreise und die
Vernichtung der "Wertschöpfung" und damit letztlich der menschlichen
Arbeit sind die Folge. Die Gesellschaft sollte Nahrungsmittel wieder
als "Mittel zum Leben" betrachten und die Bereitschaft aufbringen
"faire Preise" zu bezahlen. Aber auch der Lebensmitteleinzelhandel muss
sich darüber im Klaren sein, dass seine Dauerniedrigpreispolitik und
seine Geiz-ist-geil-Mentalität viele landwirtschaftliche Betriebe sowie
vor- und nachgelagerte Stufen in ihrer Existenz bedroht.
Erntedank ist deshalb ein guter Tag, um der Öffentlichkeit ins
Bewusstsein zu rufen, wie wichtig der Erhalt der Landwirtschaft und der
bäuerlichen Betriebe ist. Von der Zukunft der Landwirtschaft hängt mehr
ab als die unverzichtbare, eigenständige Versorgung der Bevölkerung mit
ausreichenden, qualitativ hochwertigen, bestens kontrollierten und dazu
noch preiswerten Nahrungsmitteln. Denn vergessen wir nicht: Bauern
erhalten und gestalten unsere Kulturlandschaft. Mehr noch: Sie sind das
einzige und unverzichtbare Instrument dieser Aufgabe.
Darum brauchen wir eine ökonomisch betriebene Landwirtschaft, die
durch umfassendes Wissen, Können und Handeln die Natur nachhaltig nützt
und schützt. Dazu gehört aber auch die notwendige Akzeptanz für die
Landwirtschaft in der Gesellschaft. Damit heißt Erntedank also auch,
dafür einzutreten, dass der gesamte ländliche Raum in unserer
Industriegesellschaft gleichwertig an der wirtschaftlichen Entwicklung
teilhaben und Zukunftsperspektiven entwickeln kann. Vor diesem
Hintergrund ist auch im Jahr 2004 Erntedank zeitgemäß - trotz
Existenzsorgen und Existenzverlusten gerade in der Landwirtschaft.
Trotz aller Schwierigkeiten: die meisten von uns haben allen Grund zum
Danken. Sie haben alles, was sie zum Leben brauchen und um dass sie
"Vater unser" immer wieder bitten.