05.11.2018 | 09:57:00 | ID: 26499 | Ressort: Landwirtschaft | Wissenschaft & Forschung

Haltungssysteme von Milchkühen unter der Lupe

Göttingen (agrar-PR) - Umfangreiches Verbundprojekt zeigt: Alle Haltungssysteme punkten mit Stärken
„Mit Weide kann man kein Geld verdienen, im Stall ist das Tierwohl schlechter, Weide macht weniger Arbeit, im Stall ist die Milchleistung besser.“ Diese und viele andere Behauptungen beherrschen seit vielen Jahren die Diskussion um die verschiedenen Haltungssysteme von Milchkühen. Bisherige Untersuchungen und Studien betrachteten dabei oftmals nur einzelne Aspekte und nicht die Weide- und Stallhaltung in ihrer Vielschichtigkeit. Das Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen e.V., die Landwirtschaftskammer Niedersachsen und die Universität Göttingen wollten es vor einigen Jahren genauer wissen und riefen gemeinsam das Projekt „Systemanalyse Milch“ ins Leben. Nach fünf Jahren Laufzeit kommt das vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur geförderte Verbundprojekt jetzt zum Abschluss. Die umfangreichen Ergebnisse liegen weitestgehend vor und zeigen, dass sowohl die Weide- als auch die Stallhaltung Stärken und Schwächen haben.

Von Betriebswirtschaft bis Pansengesundheit

Die beteiligten Akteure haben in diesem bisher einmaligen Verbundprojekt die Vor- und Nachteile der Produktion von Milch in Weide- und Stallhaltung intensiv erforscht. Wissenschaftler und Praktiker arbeiteten dabei Hand in Hand in den folgenden Bereichen: Tiergesundheit und Wohlbefinden, Eutergesundheit, Parasitologie, Futterproduktion und Nährstoffmanagement, Pansengesundheit und Tierernährung, Nachhaltigkeit, Betriebswirtschaft und Verbraucherakzeptanz.

60 Pilotbetriebe

Das Besondere an dem Projekt war die enge Zusammenarbeit mit 60 Landwirtinnen und Landwirten, die ihre Höfe für umfangreiche Untersuchungen zur Verfügung stellten, Einblick in Betriebsunterlagen gewährten und für ausführliche Befragungen bereitstanden. Die Betriebe befinden sich in den intensiven Milchviehregionen Niedersachsens, ähneln sich in Struktur und Größe, unterscheiden sich aber in ihrer Bewirtschaftungsform. Insgesamt gab es vier Gruppen mit je 15 Betrieben: In der Gruppe 1 hatten die Kühe über zehn Stunden täglich Weidegang, in der Gruppe 2 konnten sie zwischen sechs und zehn Stunden auf der Weide verbringen, in der Gruppe 3 hatten die Tiere unter sechs Stunden Zugang und in Gruppe 4 wurden sie ausschließlich im Stall gehalten. Haupt-Ansprechpartner für die Betriebe war das Grünlandzentrum, welches die Untersuchungen auf den Höfen koordinierte und den Kontakt zwischen den Forschern und den Landwirten herstellte.

Ergänzend zu den Untersuchungen auf den Höfen gab es Exaktversuche und Verbraucherberfragungen. Die Forschungsarbeit wurde von drei Universitäten, einer Fachhochschule und zwei Instituten durchgeführt. Insgesamt waren 15 Doktorandinnen und Doktoranden aus acht Arbeitsgruppen beteiligt. Ein wichtiges Element des Projekts war die enge Verflechtung aller Teilnehmer. So hatten alle Doktoranden auf der Praxis-Seite Ansprechpartner bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, mit denen sie eng zusammengearbeitet haben. Durch vom Grünlandzentrum organisierte Meetings und Workshops gab es auch Themen übergreifend einen engen Austausch zwischen Doktoranden und Praxispartnern aus den verschiedenen Fachbereichen und den zum Teil weit voneinander entfernten Universitäten in Hannover, Göttingen und Berlin. Nach fünf Jahren Laufzeit haben die Doktoranden, die 2013 begannen, ihre Arbeiten bereits abgeschlossen, die Doktoranden aus der zweiten Phase sind dabei, sie abzuschließen. Die während des Projektes entstandenen wissenschaftlichen Publikationen haben schon jetzt einen Umfang von über 1000 Seiten.

Erste Bilanz

Die Ergebnisse sind sehr umfangreich, lassen sich aber dahingehend zusammenfassen, dass jedes System seine Stärken und seine Schwächen hat. Weder Weide- noch Stallhaltung schnitten auf allen Ebenen nur gut ab. Wichtiger als die Wahl des Haltungssystems ist das richtige Management, um die Stärken von Weide und Stall zu nutzen und die Schwächen auszugleichen. Wie sich zeigte, sind ein hohes Tierwohl und wirtschaftlicher Erfolg dabei keine Gegensätze, sondern gehen Hand in Hand.

Tierwohl und Wirtschaftlichkeit

Verbraucher bevorzugen Weidehaltung bei Kühen, weil sie sich davon mehr Tierwohl versprechen. Zum Teil haben die Verbraucher Recht; im Sommer, während der Weideperiode schneiden die Betriebe mit Weidehaltung bei der Bewertung des Tierwohls besser ab als die Betriebe mit reiner Stallhaltung. Die Tiere haben eine bessere Klauengesundheit und wenn sie die Wahl zwischen Stall und Weide haben, verbringen Kühe den Großteil der Zeit draußen. Im Winter schneiden die Betriebe mit ganzjähriger Stallhaltung und die Weidebetriebe bezüglich des Tierwohls gleich gut ab.

Die Milchleistung war in Betrieben mit ganzjähriger Stallhaltung höher. Tiere aus Weidehaltung zeigten während der Weidesaison eine zu geringe durchschnittliche Körperkondition (Body Condition Score), die allerdings nicht zwingend zu eindeutigen Ergebnissen in der Wirtschaftlichkeit führte. Sowohl Weide- als auch Stallbetriebe können wirtschaftlich erfolgreich sein, im Mittel gibt es diesbezüglich kein überlegenes System. In den Jahren 2015 und 2016 waren die Auszahlungspreise allerdings so schlecht, dass in keinem der untersuchten Haltungssysteme die Vollkosten gedeckt werden konnten.

Der Landwirt

Die Landwirte selbst halten ihr jeweiliges System oft für das beste und stimmten bei einer Befragung meistens den Aussagen zu, die ihr System bestätigten. Landwirte von Weidebetrieben sagen, Weide gehe mit geringen Futterkosten, weniger Arbeitsbelastung und einer hohen Tiergesundheit und Fruchtbarkeit einher. Stallbetriebe schätzen diese Vorteile als unbedeutend ein und argumentieren mit einer höheren Milchleistung und besserer Kontrollierbarkeit bei Tiergesundheit und Fütterung.

In einem Punkt sind sich alle Beteiligten des Projektes einig: Die Bedingungen auf der Weide sind auf vielen Ebenen schlechter kontrollierbar als im Stall und erfordern daher ein anderes Management. So muss etwa der Übergang vom Stall zur Weide mit der beginnenden Weidesaison gut geplant sein. Eine Übergangszeit von drei Wochen ist empfehlenswert, während der das Futter von Stall auf Weide langsam umgestellt und die Dauer des Weidegangs schrittweise erhöht wird, so dass die weidenden Tiere ihren Stoffwechsel entsprechend anpassen können.

Eutergesundheit und Parasiten

Hinsichtlich der Eutergesundheit stehen alle Betriebe vor besonderen Herausforderungen. Grundsätzlich wirkt sich Weidehaltung positiv auf die Eutergesundheit aus. Bei zu starker Nässe steigt das Risiko von Infektionen aber stark an und der Weidegang sollte reduziert werden. Eine regelmäßige Reinigung vor allem in den Bereichen der Treibewege, Liegebereiche und Tränken reduziert die Gefahr einer Infektion in jedem Haltungssystem. Unabhängig von Weide- oder Stallhaltung kann jeder Betrieb Probleme mit dem Umweltkeim Streptococcus uberis haben. Liegt dieser Keim vor, kann ein genetischer Vergleich beteiligter Stämme hilfreich sein, um die richtigen Bekämpfungsmaßnahmen zur Sanierung des Betriebs einzuleiten.

Auch Parasiten stellen sowohl im Stall als auf der Weide ein großes Risiko für die Tiergesundheit dar. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass sich zur Kontrolle von Parasitenerkrankungen regelmäßige Kotproben anbieten und Tiere nur dann behandelt werden sollten, wenn tatsächlich Parasiten vorhanden sind. Diese Vorgehensweise ist günstiger als Routine-Behandlungen und vermeidet die Entstehung von Resistenzen.

Klima und Nährstoffe

Um die Bildung von klimaschädlichen Treibhausgasen bestimmen zu können, wurde innerhalb des Projektes ein Berechnungsverfahren weiterentwickelt, mit dem die je Liter Milch erzeugten Treibhausgase ermittelt werden können. Dieses Berechnungsverfahren dient zur Erstellung von betriebsspezifischen Klimabilanzen und zur Unterstützung bei der Klimaberatung landwirtschaftlicher Betriebe. Es zeigt auf, an welchen Stellen Betriebe die Bildung von Treibhausgasen einschränken und in dem Zuge auch Kosten einsparen können.

Als Folge des Klimawandels und damit einhergehenden längeren Trockenphasen könnte der Anbau der bisher wichtigsten Grasart Weidelgras künftig erschwert werden. Eine Alternative ist Rohrschwingel, welcher in dieser Studie untersucht wurde. Er hat eine schlechtere Qualität als Weidelgras, liefert aber auch auf trockenen Standorten hohe Erträge und ist sehr ausdauernd.

Neben den richtigen Grasarten ist die effiziente Nutzung von Nährstoffen entscheidend für die Erzeugung von hochwertigem Futter für die Milcherzeugung. Es wurde untersucht, welche Stickstoffverluste in Weide- und Stallsystemen auftreten und wie diese minimiert werden können. Um Stickstoffauswaschungen im Weidesystem zu minimieren, sollten Landwirte die Zahl ihrer weidenden Tiere pro Hektar kontinuierlich dem Graswachstum und der Jahreszeit anpassen, sprich im Spätsommer und Herbst reduzieren. Für eine effiziente Nutzung, also einem optimalen Verhältnis von N-Ertrag zu N-Input aus Schnittflächen erwies sich eine mittlere Düngung mit einer Kombination aus Gülle und mineralischem Dünger am besten.

Alle Ergebnisse im Überblick

Das Wissen um die in dieser Studie erarbeiteten Stärken und Schwächen der Milchproduktion kann Landwirten, Beratern und Experten aus dem vor- und nachgelagerten Bereich helfen, die Bedingungen in den verschiedenen Haltungssystemen zu optimieren und zukunftsfähig zu gestalten. Die Wissenschaft hat neue Erkenntnisse über grundlegende Zusammenhänge dazugewonnen und festgestellt, in welchen Bereichen es weiteren Forschungsbedarf gibt. Durch die Veröffentlichung in internationalen Wissenschafts-Journalen stehen die Ergebnisse dieses Projekts Wissenschaftlern auf der ganzen Welt zur Verfügung.

Für die Praxis werden die Forschungsergebnisse auf verschiedenen Fachveranstaltungen präsentiert, außerdem werden die für die Praxis wichtigsten Ergebnisse in dem Buch „Systemanalyse Milch – Hintergründe für die Praxis“ vorgestellt. Für dieses vom Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen e.V. herausgegebene Buch haben die Wissenschaftler die komplexen Sachverhalte für die Praxis zusammengefasst und Empfehlungen abgeleitet. Es erscheint zur Abschlusskonferenz am 9. November 2018 und ist dann beim Grünlandzentrum Niedersachen Bremen e.V. sowie als E-Book auf der Homepage von Systemanalyse Milch enthält: www.systemanalyse-milch.de/

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