04.09.2009 | 00:00:00 | ID: 2035 | Ressort: Landwirtschaft | Wissenschaft & Forschung

Wahlfreiheit ist Konsumenten wichtig

Zürich (agrar-PR) - An der ETH werden sich morgen zahlreiche Experten über die Möglichkeiten, Chancen und Risiken von Gentechnologie in der Landwirtschaft äussern. Noch immer ist der öffentliche Diskurs geprägt von Angst, Ablehnung und Misstrauen gegenüber der grünen Gentechnologie. Der Sozialwissenschaftler Philipp Aerni, Oberassistent an der Professur Agrarwirtschaft, untersuchte im Rahmen des NFP 59 zu Risiken und Chancen von GVO-Pflanzen, ob Konsumenten Gentechprodukte akzeptieren. Seine Studie überrascht.

Philipp Aerni, Sie haben ein aussergewöhnliches «Feldexperiment» mit gentechnisch verändertem Mais gemacht. Wie ist es gelaufen?

Wir bauten in Bern, Biel, Lausanne und an zwei Standorten in Zürich Stände auf, an denen wir drei Arten von Maisbrot verkauften: Eines wurde mit biologischem, eines mit konventionellem und eines mit gentechnisch verändertem Mais hergestellt. Der Gentech-Mais stammt aus Spanien und ist in der Schweiz seit 10 Jahren zugelassen. In einer ersten Phase verkauften wir nur Bio- und konventionelles Maisbrot, später nahmen wir Gentech-Brot ins Angebot auf.

Was war nötig, damit die Kunden unvoreingenommen entscheiden konnten?

Kunden sahen dem Stand von weitem nicht an, dass Gentech-Produkte angeboten werden. Am Stand sahen sie, dass wir die Brote klar deklariert haben. Die Verkäufer informierten die Kunden sachlich, um welche Brote es sich handelte. Es gab auch drei Preisszenarien: Einmal war Gentech-Maisbrot gleich teuer wie Biomaisbrot, einmal gleich teuer wie Konventionelles und einmal teurer. Der Preisunterschied betrug stets
30 Prozent.

Wer waren die Verkäufer? Agrobusiness-Vertreter?

Unsere Verkäufer waren Bauernfamilien, Marktfrauen oder Studierende und Schulklassen. Verkaufsgruppen, die Bauernfamilien oder Marktfrauen repräsentierten, waren meistens über 40 Jahre alt, Schüler und Studenten 25 Jahre oder jünger. Wir wollten ursprünglich auch Agrobusiness-Vertreter an den Stand holen, es war aber nicht möglich diese für die ganze Dauer des Versuchs zu verpflichten.

Beeinflussten die Verkäufer aufgrund ihres Äusseren das Kaufverhalten?

Ja. Junge verkauften mehr Gentech-Brot als Bauern oder Marktfrauen, erzielten aber weniger Umsatz.
Die Bereitschaft der Kunden, die meist selbst über 35 Jahre alt und weiblich waren, den Jungen etwas «Eigenartiges» abzukaufen, war höher.

Bestand nicht die Gefahr, dass sie den Leuten etwas aufschwatzten?

Die Verkäufer wurden geschult, alle drei Brotypen gleich anzupreisen. Wenn jemand fragte, wieso auch Gentech-Maisbrot im Angebot ist, war das Argument der Verkäufer, dass der Mais in der Schweiz seit
10 Jahren zugelassen ist, bis anhin aber nirgendwo verkauft wird. Die Kunden hatten die volle Wahlfreiheit. Wir haben niemand gezwungen, Gentech-Brot zu kaufen.

Wie war das Echo der Kunden?

Mit dem jeweiligen Brotkauf übergaben wir den Kunden ein Couvert, das einen Fragebogen zu ihrem Abstimmungsverhalten bei der Moratoriums-Initiative von 2005 enthielt. Wir wollten herausfinden, ob sich ihre Einstellung gegenüber Gentech und das Kaufverhalten überschneiden. Dabei zeigte es sich, dass es keinen Zusammenhang gibt zwischen Abstimmungs- und Kaufverhalten. Die Hälfte der Konsumenten, die Bio kauften, waren gegen die Initiative. Die Mehrheit, die das Gentechbrot kaufte, war für die Initiative.
Ein Drittel wusste nicht mehr, was sie abgestimmt hatten oder gingen gar nicht an die Urne .

Hat Sie dies überrascht?

Überraschend war, dass 23 Prozent der Konsumenten mindestens ein Gentech-Brot kauften.
Der Unterschied zwischen Deutsch- und Westschweiz ist gleich Null, aber innerhalb von Zürich zwischen Gemüsebrücke und Bahnhofstrasse riesig. Nur 16 Prozent der Gemüsebrücke-Kunden kauften Gentech,
an der Bahnhofstrasse aber 26 Prozent. Auf der Gemüsebrücke herrschte offensichtlich ein moralischer Druck. Beim Kontrollexperiment wurde dort am wenigsten Bio eingekauft, solange Gentech nicht im Angebot war. Sobald Gentech aber verkauft wurde, kauften die Leute häufiger Bio. Die Käufer fühlten sich offenbar dazu verpflichtet, das «Gute» zu wählen.

Welchen Einfluss hatte der Preis?

War der Preis für Gentech tiefer als für die anderen Sorten, dann kauften 26 Prozent der Kunden das Gentech-Brot. Wenn Bio und Gentech gleich teuer war, kauften noch immer 20 Prozent der Kunden mindestens ein Gentech-Brot.

Wie schmeckte den Kunden das Brot?

Bei Kunden, die nur Gentech-Brot kauften, wurde es von allen drei Broten am besten bewertet. Wenn sie es zusammen mit den anderen beiden Sorten kauften, wurde es etwas schlechter als Bio bewertet. Das hat aber mit der Einstellung im Kopf zu tun: Bio muss ja besser sein als Gentech, obwohl alle Brote vom gleichen Bäcker nach einheitlichem Rezept gebacken wurden. Wenn man schon vorher weiss, wie es schmecken soll, dann schmeckt es tatsächlich besser.

Glaubt man den Medien oder Umweltorganisationen, dann wollen die Leute Gentech-Produkte nicht auf dem Teller haben. Stimmt das?

Unser Versuch zeigt einen deutlichen Unterschied auf zwischen den Leuten auf der Strasse und dem Medienspektakel um vermeintliche Gentech-Skandale. Auf der Strasse spürte ich nichts davon. Obwohl wir anfänglich befürchteten, dass radikale Gentechgegner unseren Versuch stören könnten, blieben die Proteste aus. Wahrscheinlich hat es auch damit zu tun, dass alle Leute frei wählen konnten und die Werbung für die Maisbrote sich auf alle drei Brottypen bezog.

Wie kommt das, dass viele Forscher das Gefühl haben, dass sich alle gegen Gentech verschworen haben? Ihre Studie und Erfahrungen würden dieses Argument entkräften.

Zwischen dem, was die Leute sagen und dem, was sie an unserem Marktstand entschieden haben, besteht eine Kluft. Wenn man Konsumenten fragt, was sie von Gentechnologie halten, suchen sie nach der letzten Information, die sie abgespeichert haben, beispielsweise nach dem letzten Skandal. Die Reaktion ist dann die, dass sie sagen, Gentech berge Risiken, die man nicht eingehen dürfe. Stehen sie an einem Marktstand, kommt die Weltanschauung nicht zum Tragen. Radio DRS fragte am Ende des Versuchs die Leute, weshalb sie Bio und nicht Gentech kaufen. Die Antwort: «Das muss ich nicht haben». Aber genauer erklären konnten es die Befragten nicht. Das Wort Gentech ist negativ besetzt. Das ist der einzige erkennbare Ansatz.

Ihre Resultate sprechen nicht gegen Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen. Wer das jedoch nicht anerkennen will, wird weiterhin sagen, dass niemand GVO-Food will. Wie sehen sie das?

Wenn im Durchschnitt 50 Prozent der Brote in Bio-Qualität verkauft werden, kann man das auch als Argument für mehr Bio nehmen. 20 Prozent Martkanteil von Gentech-Brot ist relativ wenig, aber für eine Markteinführung ist es dennoch relativ viel. Letztlich kommt es bei dieser Ausgangslage wohl darauf an, wer die Studie anschaut und von welcher Weltanschauung die entsprechende Person geprägt ist. Jeder pickt das raus, was ihn bestätigt.
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Frau Gabrielle Attinger
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