20.11.2009 | 00:00:00 | ID: 3737 | Ressort: Umwelt | Wissenschaft & Forschung

Methodenschub dank Krankheitserreger

Zürich (agrar-PR) - Leptospiren sind nicht nur Krankheitserreger, die von Tieren auf den Mensch übertragen werden. Sie erlaubten auch einen qualitativen Sprung bei der grossmassstäbigen Bestimmung der absoluten Proteinmengen. Zudem kann man bei ihnen Mengenveränderungen verschiedener, aber lange noch nicht aller Proteine sichtbar machen. Zu diesen Ergebnissen, die in zwei Artikel in «Nature»-Publikationen mündeten, kamen ETH-Systembiologen.


Die moderne Biologie ist geprägt von vielen Bildern und grossen Datenmengen. Es kann beispielsweise auf ein Mal gemessen werden, was stark die genetische Information abgelesen wird oder welche Proteine und in welchen Mengen an gewissen Prozessen beteiligt sind. Entsprechend schiessen neue Forschungszweige wie Pilze aus dem Boden. War es zu Beginn die Genomik, gibt es mittlerweile Proteomik, Transkriptomik oder Metabolomik sowie Untergebiete. Allen gemeinsam ist, dass man Lebewesen oder ihre Teilsysteme als Ganzes erfassen möchte. Diese Ansätze lassen sich als Systembiologie zusammenfassen.

Bei ihrer Dynamik könnten Aussenstehende denken, dass die Systembiologie die Forschungsrichtung der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Doch so einfach ist es nicht. Die Erfolge basieren auf hart erarbeiteten, ausgeklügelten Methoden. Deren Grenzen werden immer wieder hinausgeschoben, aber die Forscher stossen auch immer wieder auf neue.

Gefroren durchleuchtet

Ein Beispiel lieferten kürzlich Forscher der Arbeitsgruppe von Ruedi Aebersold, ETH-Professor für Systembiologie. Sie untersuchten im Bakterium Leptospira interrogans, wie weit sich die Proteinmengen direkt visualisieren lassen, also wie weit sich visuelle Proteomik betreiben lässt. Leptospira ist ein Krankheitserreger, der von Säugetieren wie Hund oder Maus auf den Menschen übertragen wird und dort zu grippeähnlichen Symptomen, im schlimmsten Fall zu Nieren- und Leberversagen und selten zum Tod führt.

Das Interesse der Wissenschaftler erregte das Bakterium jedoch nicht aufgrund seines Schadenspotenzials, sondern wegen seiner speziellen Form. Leptospira ist länglich spiralig und hat einen geringen Durchmesser von 0,1 bis 0,18 Mikrometer. Dadurch kann der Erreger gut von Elektronenstrahlen durchdrungen werden, was Bilder mit hoher Auflösung ermöglicht. Gefriert man ein Bakterium ein, so kann mittels der Kryoelektronentomographie genannten Methode eine Zelle in einem bestimmten Stadium erfasst und im Prinzip die Mengen der vorhandenen Proteine erfasst werden. Interessant dabei ist vor allem, dass eine einzelne Zelle analysiert werden kann, denn mit den meisten übrigen Methoden bestimmt man Proteinmengen von vielen aufgelösten Zellen zusammen.

Doch kann man wirklich Mengen- und nicht nur Typenbestimmung von Proteinen machen, wenn man Zellen durch Gefrierschock stillstehen lässt und danach in den Tomographen schiebt? Die Antwort lautet: ja. Die ETH-Forscher fanden die typischen, sogenannten Referenzstrukturen bestimmer Proteine und konnten dadurch deren Mengen abschätzen. Die Einschränkung war aber, dass es sich nur für wenige, sehr grosse und relativ häufig vorhandene Proteinkomplexe wie die Ribosomen machen liess. Kleine oder seltene Proteine, aber auch allzu dicht vorkommende, konnten nicht sauber quantifiziert werden, da das Rauschen des Detektors zu gross war. Trotz dieser Einschränkung sind die Resultate der Tomographieaufnahmen spannend: Sie ermöglichen die Messung von Konzentrationsunterschieden gewisser Proteine innerhalb einer einzelnen Zelle. Kombiniert man solche Resultate mit guten quantitativen massenspektrometrischen Daten, kann man nicht nur die relative Dichte der Proteine erfassen, sondern auch die absolute.

Gut verankertes Vorgehen


Apropos absolute Quantifizierung: Diese möchten Systembiologen schon lange verlässlich für grosse Sätze von Proteinen durchführen können. Denn das würde es erlauben, über verschiedene Messungen hinaus Vergleiche zwischen den Proteinmengen anzustellen. Solche Messungen sind aber trotz der grossen Möglichkeiten der massenspektrometrischen Methoden nicht trivial, da es nicht einfach ein absolutes Referenzsystem gibt.

Doch man kann ein gutes Referenzsystem kreieren, wie die Aebersold-Gruppe in einer weiteren Arbeit demonstrierte. Die ETH-Forscher bestimmten wiederum in Leptospira interrogans 19 Kandidaten, Ankerproteine genannt, die ein Referenzsystem bilden sollten. Deren absolute Mengen schätzen sie ab, indem sie deren Konzentrationen mit denen von sehr stabilen markierten Peptiden verglichen, die sie den Zellen beifügten. Da auch die Zellzahl bei den Messungen bekannt war, konnte auf die Anzahl Kopien der Ankerproteine pro Zelle geschlosssen werden. Vom neuen 19-teiligen Referenzsystem aus konnten die Forscher dann wiederum über relative Vergleiche die Menge von anderen Proteinen bestimmen. Insgesamt erhoben sie für mehr als 1800 Proteine die Anzahl Kopien pro Zelle.

Um ihre ausgeklügelte Methode, die neben drei massenspektrometrischen Methoden auch viele statistische Analysen umfasst, zu überprüfen, verglichen die Forscher sie mit Ergebnissen aus der oben erwähnten Kryoelektronentomographie. Mag das gegenseitige Abwägen vielleicht wie ein Zirkelschluss aussehen, so täuscht dieser Eindruck. Das hängt mit einer Besonderheit von Leptospira zusammen. Das Bakterium enthält nämlich gewisse Strukturen, deren Zusammensetzung bekannt ist. So weiss man, aus wie vielen Proteinen die Flagelle – eine Geisel, die das Bakterium antreibt – und deren Motor besteht. Zeigte die Kryoelektronentomographie, dass das Bakterium zwei Geiselmotoren hat, so konnte auf 52 Proteinkopien pro Zelle für das Motorenprotein FliF geschlossen werden. Die ETH-Forscher kamen mit ihrer massenspektrometrischen Methode auf 43, ein guter Wert bei solch kleinen Mengen.

Ein Eckstein der quantitativen Biologie


Die neue absolut quantitative Methode funktioniert also. Da sie sich aller Voraussicht nach auch auf andere Organismen als Leptospira anwenden lässt, bezeichnen sie die Forscher im Paper als Eckstein für die quantitative Biologie. Nicht umsonst erschien die Arbeit in der Fachzeitschrift «Nature» selbst.

Bei der visuellen Proteomik dürfte die breite Anwendung noch auf sich warten lassen. Die in «Nature Methods» publizierten Ergebnisse zeigen zwar, dass die Methode funktioniert und vor allem für Analysen innerhalb einer Zelle Potenzial hat. Da aber in einem für Kryoelektronentomographie idealen Organismus wie Leptospira die Anzahl analysierbarer Proteine klein ist, braucht es noch weitere Entwicklungsarbeit. Martin Beck, der Erstautor des Papers, glaubt, dass es zehn Jahre dauern könnte. Bis dahin dürften Leptospira-Bakterien weiterhin die Aufmerksamkeit des Menschen erregen, unabhängig der von ihnen ausgelösten Krankheit.

Literaturhinweise


Malmström J, Beck M, Schmidt A, Lange V, Deutsch EW, Aebersold R. Proteome-wide cellular protein concentrations of the human pathogen Leptospira interrogans. Nature. 2009 Aug 6;460(7256):762-5. Epub 2009 Jul 15. doi:10.1038/nature08184
Beck M, Malmström JA, Lange V, Schmidt A, Deutsch EW, Aebersold R. Visual proteomics of the human pathogen Leptospira interrogans. Nat Methods. 2009 Nov;6(11):817-23. Epub 2009 Oct 18. doi:10.1038/nmeth.1390
Pressekontakt
Frau Gabrielle Attinger
Telefon: +41(0)44 - 6322916
E-Mail: gabrielle.attinger@env.ethz.ch
Pressemeldung Download: 
ETH Zürich
Rämistraße 101
8092 Zürich
Schweiz
Telefon:  +41  044  6321111
Fax:  +41  044  6321010
Web:  www.ethz.ch
>>>  Pressefach


© proplanta 2006-2024. Alle Rechte vorbehalten.