Berlin (agrar-PR) - Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
(BUND) hat die schwarz-gelbe Koalition aufgefordert, bis zum
Klimagipfel in Kopenhagen Anfang Dezember ein glaubwürdiges
Klimaschutz- und Energiekonzept vorzulegen. Kern eines solchen Konzepts
müsse der Verzicht auf den Neubau von Kohlekraftwerken sein. Nur so
lasse sich das im Koalitionsvertrag vereinbarte deutsche Klimaziel von
Minus 40 Prozent CO2 bis 2020 auch tatsächlich erreichen. Um
ein Scheitern des Kopenhagener Weltklimagipfels zu verhindern, forderte
der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger Bundeskanzlerin Merkel auf, den
Entwicklungsländern konkrete finanzielle Zusagen zu machen und selbst
nach Kopenhagen zu reisen. Mit der Vorlage eines "Pflichtenhefts
Umwelt- und Naturschutz für die neue Bundesregierung" will der BUND vor
allem die "Neulinge" in ihren jeweiligen Ämtern wie Norbert Röttgen,
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Bundeswirtschaftsminister
Rainer Brüderle und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer zu
verstärkten nationalen Anstrengungen für mehr Klimaschutz und zum
Energiesparen bewegen.
Weiger: "Die neue Bundesregierung muss sich jetzt
entscheiden, was sie will. Entweder eine Politik für mehr Klimaschutz
und die erneuerbare Energiezukunft oder die Fortsetzung eines
rückwärtsgewandten Lobbyismus für die Kohle- und Atomindustrie. Beides
zugleich geht nicht und wäre im Übrigen auch ein schwerer Rückschlag
bei den nationalen und internationalen Anstrengungen beim Klimaschutz.
Die Bundesregierung steht vor einer ernsten und entscheidenden
Herausforderung. Trägt sie dazu bei, den Klimagipfel von Kopenhagen zu
retten, wird das ihre politische Gesamtbilanz am Ende positiv
beeinflussen. Wird Kopenhagen vermasselt, bleibt das auch an Angela
Merkel und Norbert Röttgen hängen."
Entscheidend für eine glaubwürdige
Klimaschutzpolitik sei auch, ob es Laufzeitverlängerungen für die
deutschen Atomkraftwerke gebe. Das Bekenntnis von Union und FDP zum
Ausbau erneuerbarer Energien und zu deren Vorrang im Stromnetz sei
unvereinbar mit einer Pro-Atomkraft-Haltung. Da die neue
Bundesregierung aber erst 2010 oder 2011 über verlängerte Laufzeiten
entscheiden wolle, müssten entsprechend dem gültigen Atomkonsens die
Meiler Neckarwestheim1, Biblis A und Brunsbüttel bereits davor
stillgelegt werden. Sollten sich die Energieunternehmen dem verweigern,
indem sie Anträge auf Strommengenübertragungen von neueren auf diese
älteren Atomkraftwerke stellten, sei die Bundesregierung verpflichtet,
dies zurückzuweisen. Verlängere die neue Bundesregierung die Laufzeiten
der Reaktoren jedoch, würde Atomstrom die Stromnetze "verstopfen" und
Neuinvestitionen in regenerative Energien blockieren. Der BUND forderte
Umweltminister Röttgen auf, sich an das geltende Atomgesetz, das eine
Verschlechterung der Sicherheitslage verbiete, zu halten und wie sein
Vorgänger derartige Anträge ebenfalls abzulehnen.
Nicht ermöglicht werden dürfe auch die von den
Energiekonzernen gewünschte Verpressung von Kohlendioxid aus
Kohlekraftwerken in tiefe Erdschichten. Es gebe zu viele ungeklärte
Risiken und ein Nutzen für den Klimaschutz sei nicht erkennbar. Das von
Wirtschaftsminister Rainer Brüderle gewollte Gesetz zur Abscheidung und
Speicherung von CO2 (das sogenannte CCS-Gesetz) dürfe lediglich wissenschaftliche Forschungsvorhaben zu dieser Technologie erlauben.
Große Reserven für Energieeinsparungen und beim
Klimaschutz lägen außerdem im Verkehrsbereich. Hierbei gehe es vor
allem um verstärkte Anstrengungen zur Verlagerung des Güterverkehrs auf
die Bahn und um strengere Emissionsstandards für Pkw, kleinere
Nutzfahrzeuge und Lkw. Weitere Reserven ließen sich durch den Abbau
umweltschädlicher Subventionen erschließen. Nicht nur, dass
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble pro Jahr bis zu 40 Milliarden
Euro mehr einnehmen könnte, wenn er u. a. die Vergünstigungen für
energieintensive Industrien bei den Energiesteuern abbauen, die
Dieselsteuerermäßigung und die Kerosinsteuerbefreiung abschaffen würde.
Derartige Maßnahmen bedeuteten zugleich enorme Impulse zum
Energiesparen.
Dringend erforderlich sei auch die schnelle
Verabschiedung eines Energieeffizienzgesetzes. Es müsse gewährleisten,
dass der Primärenergieverbrauch bis 2020 jährlich um zwei Prozent
sinke. Dafür müsse ein Klimaschutzfonds eingerichtet werden, der
Förderinstrumente zur Energieeinsparung beinhalte. Ein solches
Instrument sei beispielsweise die Förderung von Energiesparmaßnahmen
für einkommensschwache Haushalte. Mindestens 500 Millionen Euro pro
Jahr sind nach Schätzung des BUND für einen derartigen Fonds
erforderlich. Finanzieren ließe sich der Fonds mit Einnahmen aus der
Versteigerung von CO2-Emissionsrechten.
Weiger: "Die Bundeskanzlerin hat in Zeiten von
Wirtschaftskrise und Wahlkampf ihr früheres Engagement für mehr
Klimaschutz sträflich vernachlässigt. Das drohende Scheitern des
Kopenhagener Weltklimagipfels erfordert jetzt entschlossenes Handeln.
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie wieder eine echte
Vorreiterrolle im internationalen Klimaschutz einnimmt. Sie muss
verlässliche und konkrete Zusagen an die Entwicklungsländer machen, wie
viel sie für Technologietransfers und Finanzhilfen im Kampf gegen
Dürren und Überflutungen beisteuern will. Wir fordern feste Zusagen in
Höhe von mindestens sieben Milliarden Euro pro Jahr bis 2020. Angela
Merkel muss in Kopenhagen zusammen mit der EU-Delegation rasche
Entscheidungen und ambitionierte Absprachen zwischen den
Industriestaaten durchsetzen."
Neben den Themen Klimaschutz und Energiepolitik
sieht der BUND große Herausforderungen für die neue Bundesregierung vor
allem in der Landwirtschaftspolitik. So sei die Stabilisierung der
Milchpreise durch einen Stopp der Überproduktion die entscheidende
Voraussetzung für das Überleben vieler Milchviehbetriebe in
Deutschland. Eine Schlüsselstellung nehme die Reform der
EU-Agrarpolitik ein. Agrarbeihilfen dürften künftig nur noch nach
ökologischen und sozialen Kriterien gewährt werden. Für nicht in der EU
zugelassene gentechnisch veränderte Pflanzen müsse weiter die
Nulltoleranz gelten. Dringend erforderlich sei auch die angekündigte
Reform des Verbraucherinformationsgesetzes. Die Novelle müsse
sicherstellen, dass Verbraucher von Behörden und Unternehmen umfassende
Auskünfte über Produkte und Produktionsverfahren erhielten. Derartige
Anfragen müssten zudem schneller und zu geringeren Kosten beantwortet
werden als derzeit.