Man
muss klar unterscheiden zwischen Schwellenländern und Entwicklungsländern.
Länder wie China, Brasilien und Indien sind wirtschaftlich und technisch schon
viel weiter fortgeschritten als klassische Entwicklungsländer. Es ist den
Industrienationen nicht gelungen, die Schwellenländer mit Verpflichtungen zu
Emissionsbegrenzungen an Bord zu holen. Diese
Länder haben sich mit ihrer Verweigerungshaltung gegenüber verbindlichen Zielen
durchgesetzt, insofern waren sie erfolgreich.
Wie
steht es mit den klassischen Entwicklungsländern, also vor allem den
afrikanischen Staaten unterhalb der Sahara?
Sie
sind die grossen Verlierer der Konferenz. Forscher gehen davon aus, dass sich
negative Folgen des Klimawandels dort am
schwersten offenbaren werden. Gleichzeitig tragen diese Länder sehr wenig zu den globalen Treibhausgas-Emissionen bei.
In solchen Gebieten müssten also dringend Massnahmen für die Anpassung an den
Klimawandel vollzogen werden.
130
Entwicklungs- und Schwellenländer haben sich in der Gruppe der G77
zusammengeschlossen, um an der Konferenz für gemeinsame Forderungen
einzustehen. Wieso haben Entwicklungsländer in den Verhandlungen gemeinsame
Sache mit den Schwellenländern gemacht; verfolgen sie nicht sehr
unterschiedliche Ziele?
Die
Schwellenländer haben von Beginn an sehr hohe Forderungen an die
Industrienationen gestellt. Die chinesische Delegation, die als Sprecher der
G77 wirkte, forderte, dass die Industrienationen für den Klimaschutz jährlich
ein Prozent ihres Sozialprodukts, also
rund 400 Milliarden Dollar, an die Entwicklungsländer zahlen. Diese enorme
Summe hat bei vielen sehr armen Entwicklungsländern Hoffnungen geweckt, die
Situation in ihren Ländern über Klimazahlungen verbessern zu können. Sie sahen
die Chance, ihr Gewicht in Kopenhagen durch Solidarität mit China und den
restlichen Schwellenländern deutlich zu erhöhen. Für China wiederum war die
eigene Position einfacher durchzusetzen, indem die Delegation nicht nur für das
eigene Land, sondern für 130 Staaten sprach. Ein kluger Schachzug.
Der Vorsitzende der G77, der Sudaner Lumumba
Di-Aping, forderte in Kopenhagen
mehrmals von den Industrienationen zu ihrer «historischen Schuld» für die
bereits emittierten Treibhausgase
einzustehen. Inwiefern haben die Industrieländer eine moralische Verpflichtung?
Die
moralische Verpflichtung wird anerkannt, ist aber rechtlich gesehen problematisch. Der
Grossteil der Treibhausgase wurde zu einer Zeit emittiert, als noch niemand
über die tatsächlichen Folgen der Emissionen Bescheid wusste. Man kann jemanden
nicht für etwas haftbar machen, für das es zur Zeit der Tat noch keine Verbote
gab. Heute muss man aber bedenken, dass bereits mehr als die Hälfte der
weltweiten Treibhausgasemissionen von Schwellen- und Entwicklungsländern stammt.
Die
Industriestaaten wären bereit gewesen einen Teil dieser «Schuld» in Form eines
Klimafonds für Entwicklungsländer zu tragen, unter der Voraussetzung, dass sich
die Schwellenländer zu CO2-Reduktionszielen verpflichten. Weshalb
lenkten sie trotzdem nicht ein?
Hinter
der starren Front stecken natürlich auch knallharte realpolitische Überlegungen.
Hätten Chinas Verhandler zu grosse Zugeständnisse zulasten der wirtschaftlichen
Wohlfahrt ihres Landes gemacht, so wäre die Regierung im eigenen Land unter
Beschuss geraten. Solche Zusagen können eine Regierung den Kopf kosten.
Die
Staaten der G77 machten CO2-Reduktionsverpflichtungen sehr stark von
der finanziellen Unterstützung des Westens abhängig. Haben Sie kein eigenes
Interesse an einem intakten Klima?
Man
muss beachten: In Industrienationen wird die Dekarbonisierung mittlerweile auch
als Chance für die wirtschaftliche Wertschöpfung gesehen. Besonders für die
Entwicklungsländer sind Emissionsbegrenzungen und Anpassungen an den Klimawandel in erster
Linie mit Investitionen verbunden, für
die Technologien und Kapitalgüter importiert werden müssen. Für wirtschaftlich
starke Staaten ist es zudem wesentlich einfacher, ihren Klimaverpflichtungen
nachzukommen, als für Staaten, die noch immer gegen existenzielle Probleme wie Armut und Hunger
kämpfen.
Führt
Wohlstand also automatisch zu einer höheren Bereitschaft zum Umweltschutz
beizutragen?
Ja,
wir wissen aus der Umwelt- und Ressourcenpolitik, dass es zwei Motive für
Änderungen im Verhalten gibt. Erstens, wenn die natürlichen Ressourcen dermassen
knapp werden, dass es uns «ans Lebendige geht». Zweitens: Je höher das
wirtschaftliche Wohlfahrtsniveau, desto höher ist auch die Bereitschaft, für
eine intakte Umwelt und natürliche Ressourcen zu bezahlen. Wir sollten deshalb
ein Interesse daran haben, dass Schwellen- und Entwicklungsländer trotz
Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgase wirtschaftlich weiter wachsen
können. Wenn wir warten, bis uns das Wasser am Hals steht, ist es im Fall des
Klimawandels bereits zu spät.
Rolf Kappel ist Professor
für Probleme der Entwicklungsländer an der ETH Zürich und Leiter des
Nachdiplomstudiums für Entwicklungsländer (NADEL).
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