28.12.2015 | 19:35:00 | ID: 21648 | Ressort: Umwelt | Tier

Luchs Friedl verrät Position über Sender / Seit 260 Tagen Wanderschaft durch halb Baden-Württemberg

Stuttgart (agrar-PR) - Naturschutzminister Alexander Bonde: „Wir wollen wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse über den Luchs gewinnen“

Luchs Friedl erlaubt auf seiner Wanderschaft seit gut 260 Tagen spannende Einblicke in das Leben der seltenen Pinselohren. Am 9. April war das aus dem Schweizer Jura zugewanderte Luchsmännchen im Elztal von einem Team der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) betäubt und mit einem Halsbandsender ausgestattet worden. Seitdem schickt er regelmäßig Daten über seinen Aufenthaltsort an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, zeigt Möglichkeiten und Grenzen für Luchse in Baden-Württemberg auf und bereichert die Diskussion um den Umgang mit Großen Beutegreifern im Land. Zuletzt hatte sich Friedl im Bereich des Oberen Donautals aufgehalten.

Luchse gehören zu den seltensten Tieren in Baden-Württemberg. Die wenigen Exemplare, die gelegentlich aus der angrenzenden Population im Schweizer Jura den Weg nach Baden-Württemberg finden, lösen in der Bevölkerung sehr unterschiedliche Reaktionen aus. „Rund um den Luchs ranken sich sicher mehr Gerüchte, als es bisher Luchse im Land gegeben hat. Unser Anliegen ist es, wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse über den Luchs zu gewinnen und diese unmittelbar an unsere Partner aus Jagd und Nutztierhaltung weiterzugeben“, sagte Naturschutzminister Alexander Bonde am Montag (28. Dezember) in Stuttgart. Auch aus diesem Grund steht die enge Zusammenarbeit mit der Jägerschaft und den Tierhalterinnen und Tierhaltern im Vordergrund des ungewöhnlichen Forschungsprojektes. 

Realistisches Bild des Luchses gewinnen

Der an der FVA zuständige Wissenschaftler Micha Herdtfelder erläutert die Grundidee des Projektes: „Große Beutegreifer wie der Luchs werden von vielen Menschen als Symbol für Wildnis angesehen. Und an dem Begriff Wildnis scheiden sich die Geister. Wir wollen einer Romantisierung einerseits und einer Dämonisierung andererseits entgegenwirken. Deshalb fördern wir insbesondere das Gespräch zwischen den Personen, die den Luchs befürworten, und denen, die dem Luchs kritisch gegenüber stehen“, so der Wissenschaftler. Hierfür wurde unmittelbar nach der Besenderung des Luchses das „Regionale Forum zum Umgang mit Großraubtieren im Mittleren Schwarzwald“ eingerichtet. In mehreren Treffen diskutierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Jagd, Nutztierhaltung, Naturschutz und Verwaltung über die Herausforderungen, die mit der Rückkehr des Luchses in der Region zu erwarten waren. Unter Moderation durch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der FVA wurden insbesondere die Sorgen der Nutztierhalterinnen und Nutztierhalter besprochen und Lösungsansätze aufgezeigt. Die Daten des besenderten Luchses waren hier ein wichtiger Schlüssel, um von der Theorie in die Praxis zu kommen. 

Positionsbestimmung – bei gutem Empfang täglich

Welche Lebensräume nutzt der Luchs? Wovon ernährt er sich? Welche Auswirkungen gibt es für die Jagd und die in der Region so bedeutenden Weidehaltung von Schafen, Ziegen und Rindern? Das waren die dringlichsten Fragen, die die Teilnehmenden des Forums interessierten. „Der besenderte Luchs bietet eine bisher einmalige Gelegenheit, diese und weitere Fragen ganz konkret beantworten zu können“, so Herdtfelder. Einmal am Tag versucht sich das Halsband in das Handynetz einzuwählen, um die erhobenen Daten per SMS zu verschicken. Gemeinsam mit den zuständigen Jägerinnen und Jägern suchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der FVA beispielsweise dort nach Resten von Beutetieren, wo sich der Luchs längere Zeit aufgehalten hat. 

Friedl mag vor allem Rehe

Bei Luchs Friedl steht das Reh an oberster Stelle auf dem Speisezettel. Unter zehn erbeuteten Tieren sind bisher im Schnitt acht Rehe und eine Gemse sowie ein kleineres Beutetier. Dass Luchse auch Schafe und Ziegen erbeuten, ist die große Ausnahme. Die einzigen Übergriffe auf Schafe in Baden-Württemberg gab es bisher nur kurz vor der Besenderung, wo Friedl sich mehrfach an Lämmern vergriffen hatte. „An einem erbeuteten Lamm konnten wir den Luchs dann fangen und besendern“, erklärt Herdtfelder und ergänzt: „Rinder und Pferde werden vom Luchs lediglich beäugt, aber nie angegriffen“.

Wanderschaft Friedls mit Hindernissen

Von großer Bedeutung für die Wissenschaft ist auch die Raumnutzung des Tieres. Als sich Friedl Ende August vermutlich auf der Suche nach einer Partnerin für mehrere Wochen auf Wanderschaft durchs halbe Land begab, zeigte er die Möglichkeiten und auch die Grenzen unserer Kulturlandschaft auf. So nutzte Friedl beispielsweise ein Stück des Neckartals als natürliche Leitlinie und querte zahlreiche Straßen, bis er vor den Toren Ulms stand. Auf seinem weiteren Weg zurück nach Westen zog er mehrere Tage entlang der Autobahn A8 in Richtung Stuttgart, bis er sich nahe Weilheim an der Teck nach Süden wandte, und entlang des Albtraufs bis in das Obere Donautal zog. „Autobahnen wie die A8 zwischen Ulm und Stuttgart stellen für viele Tiere bisher eine schier unüberwindbare Barriere dar. An für die Wildtiere wichtigen Stellen wollen wir deshalb Grünbrücken vorsehen, um Lebensräume wieder miteinander zu vernetzen“, so Bonde. 

Lösungen mit allen Verbänden suchen

Seit der Besenderung des Luchses werden die Personen aus Jagd und Nutztierhaltung sowie die Wildtierbeauftragten in der Region regelmäßig mit Rundschreiben über die gewonnenen Erkenntnisse informiert. „Wir freuen uns, dass die Verbände gut mit unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Friedl zusammenarbeiten. Damit der Umgang mit den großen Beutegreifern gelingt, wollen wir gemeinsam Lösungen für die anstehenden Herausforderungen entwickeln“, so der Minister. So übernahm der Landesjagdverband Baden-Württemberg nach die Patenschaft für Luchs Friedl und organisierte nach der Zuwanderung des Luchses in das Obere Donautal eine Informationsveranstaltung für die Jägerschaft. Obwohl Luchse sich nur sehr selten für Nutztiere interessieren, haben die Experten auch mögliche Fragen des Herdenschutzes im Blick. 

Hintergrundinformationen:

Friedl hat seit seiner Besenderung am 9. April nachweislich 1.600 Kilometer zurückgelegt. Die tatsächlich zurückgelegte Strecke dürfte um einiges höher liegen, da die Peilungen nicht kontinuierlich erfolgen. Das recht langgezogene Streifgebiet, welches Friedl im Mittleren Schwarzwald regelmäßig nutzte, hatte eine Ausdehnung von etwa 30 mal 10 Kilometer. Im Oberen Donautal beträgt der Durchmesser des eher ovalen Streifgebietes ungefähr 20 Kilometer. (mlr-bw)

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