Die
Neuseeländische Deckelschnecke hat eine Besonderheit. Sie pflanzt sich auf zwei
verschiedene Arten fort: Die einen Schnecken tun es ganz gewöhnlich: Männchen begatten
Weibchen. Die Nachkommen bekommen Erbgut von Vater und Mutter. Die Anderen,
ausschliesslich Weibchen, vermehren sich asexuell, ohne Zutun eines Partners.
Sie gebären genetisch identische Klone. Beide Formen leben nebeneinander im
gleichen Lebensraum.
Wozu Sex?
Die
Frage liegt nahe: Wofür braucht die Art überhaupt Sex, wenn es auch ohne geht? Denn
sexuelle Fortpflanzung verursacht durchaus auch «Kosten»: Männchen fressen und
beanspruchen Platz, produzieren aber selbst keine Jungen. Und die Weibchen, die
sich so fortpflanzen, vererben nur die Hälfte ihres Erbgutes. Klone zu bilden
scheint eigentlich der einfachere Weg zu sein, um seine Gene weiterzugeben.
Jukka
Jokela, Professor am Institut für Integrative Biologie an der ETH Zürich und
Leiter der Abteilung Gewässerökologie an der Eawag, dem
Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs, hat sich ausführlich mit der Frage
nach dem Nutzen von Sex beschäftigt. Mit einem Langzeitexperiment konnte er
zeigen, dass Parasiten zumindest mitverantwortlich sind dafür, dass es Sex
überhaupt gibt und dass er sich halten kann.
Parasit gegen Schnecke
«Zwischen
den Parasiten und ihrem Wirt findet ein eigentliches Wettrüsten statt», erklärt
Jokela. Die Parasiten attackieren die Wirtsorganismen, in diesem Fall die
Schnecken. Die Angegriffenen wehren die Bösewichte ab - sofern ihre genetische
Ausstattung das zulässt. Diejenigen, die sich am besten und dauerhaftesten
verteidigen, überleben und vermehren sich. Doch der Parasit passt sich an und
durchbricht den Schutz. Worauf die Schnecken wieder nachziehen müssen.
Dieser
Wettlauf heisst Koevolution. Sex, genauer die ständige Neukombination der Gene
bei der sexuellen Fortpflanzung, verschafft der Schnecke dabei einen Vorsprung.
Soweit die Theorie, von den Wissenschaftlern Parasitenhypothese genannt.
Parasitenhypothese im
Realitäts-Check
Jokela
überprüfte diese Hypothese als einer der Ersten in der Realität, an der
Neuseeländischen Deckelschnecke. Sie trägt diesen Wettlauf in ihrer Heimat
Neuseeland gegen einen Fadenwurm aus. Kann dieser eine Schnecke befallen,
sterilisiert er sie und bringt ihren Körper unter seine Kontrolle. «Wäre ich
die befallene Schnecke, dann wäre alles vom Hals abwärts nur noch Parasit»,
verdeutlicht Jokela. «Und der Kopf macht, was der Parasit will», fügt er an. Die
Schnecke versorgt nur noch den Parasiten.
Jokela
holte über Jahre jedes Frühjahr Hunderte der winzigen Süsswasserschnecken aus
verschiedenen Seen in Neuseeland. Mit genetischen Tests bestimmte er, wie gross
der Anteil sexueller und asexueller Schnecken an den jeweiligen Sammelorten war
und welche Klone dort vorkamen.
Stets neue aufstrebende Klone
Jokela
stellte fest, dass über die Jahre immer wieder neue Klone entstehen. Wie genau,
sei noch ungeklärt. Das Bemerkenswerte aber: «Einzelne davon vermehren sich
eine Zeit lang sehr stark», berichtet er. Danach werden sie plötzlich wieder
seltener, kommen irgendwann nur noch vereinzelt vor oder sterben aus.
Indem
er die Schnecken gezielt mit Parasiten infizierte, konnte Jokela nachweisen, wieso
die Klone so erfolgreich waren: Der Parasit konnte sie nicht befallen. Ein
entscheidender Vorteil - doch nicht von Dauer. Denn «ein erfolgreicher Klon
bildet beinahe eine Monokultur», führt Jokela aus. Da diese Schnecken alle genetisch
identisch sind, unterscheiden sich auch die Gene nicht, mit denen sie den
Parasiten abwehren. Was es für diesen einfacher und auch lohnender macht, die
Abwehrmechanismen zu durchbrechen. Denn hat er es geschafft, ist er fähig, alle
Tiere mit den gleichen Genen befallen.
Ganz
anders sieht die Sache bei Schnecken aus, die sich mittels Sex fortpflanzen:
«Ihr Anteil schwankte zwar über die Jahre, sie starben aber an keinem der
Sammelorte aus - trotz aufwändigerer Fortpflanzung», erklärt Jokela.
Die
Erklärung: Da kein Nachkomme gleich wie der andere ist, kann der Parasit immer
nur einige davon infizieren. Sich an jede einzelne Schnecke anzupassen, ist
unmöglich. So überleben immer einige und geben ihre Gene – in immer neuen
Kombinationen – an ihre Nachkommen weiter. «Das erklärt, wieso sexuelle
Fortpflanzung in Umgebungen mit vielen Parasiten ein Vorteil ist», fasst Jokela
zusammen.
Schnelle Evolution
Überrascht
hat den Forscher vor allem, wie schnell sich die genetische Zusammensetzung der
Schnecken an den einzelnen Standorten ändert. «Ich hatte mit 30 Jahren und mehr
gerechnet», konkretisiert er. Schnecke und Parasit passen sich aber offenbar
weit schneller an. Denn vom Auftauchen eines besonders wehrhaften Klons bis zur
Anpassung des Parasiten dauert es gerade mal fünf bis zehn Jahre. Das
ist Evolution im Schnellzugstempo.
Literatur:
Jokela J, Dybdahl MF, Lively CM: The maintenance
of sex, clonal dynamics and host-parasite coevolution in a mixed population of
sexual and asexual snails. American Naturalist. 2009. Vol. 174: pp. S43-S53.
DOI: 10.1086/599080