Berlin (agrar-PR) -
Umweltorganisationen mahnen in 100-Tage-Bilanz der neuen Regierung stärkeres Umwelt-Engagement aller Ressorts an Nach Ansicht der fünf großen deutschen
Umweltorganisationen BUND, DNR, Greenpeace, NABU und WWF hat die neue
Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel in ihren ersten 100 Tagen
die Umweltpolitik spürbar vernachlässigt. Während sich das
Umweltministerium bemühe, seinen Aufgaben gerecht zu werden, spiele das
Thema Umwelt bei der schwarz-gelben Bundesregierung insgesamt kaum eine
Rolle. Vor allem in der Energie- und Klimapolitik, aber auch beim
Schutz der biologischen Vielfalt sei weder eine gemeinsame Linie noch
ein ressortübergreifendes Engagement aller Ministerien zu erkennen. Ein
Umbau der Wirtschafts- und Finanzpolitik sei dringend notwendig, um die
ökologische Krise abzuwenden. Die einzelnen Ministerien für Umwelt,
Wirtschaft, Agrar, Entwicklung, Verkehr und Forschung betrieben häufig
eine gegensätzliche Politik in Sachen Umwelt. Die Umweltverbände
appellierten an Merkel, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in
allen Ressorts als Priorität zu verankern.
Ein völliges Versagen attestierte DNR-Präsident
Hubert Weinzierl der schwarz-gelben Bundesregierung bei der zentralen
Herausforderung, die Wirtschafts- und Finanzkrise und die ökologische
Krise gemeinsam zu bewältigen. "Es ist schon erstaunlich, dass die neue
Bundesregierung ausgerechnet bei ihrer angeblichen Kernkompetenz, der
Wirtschafts- und Finanzpolitik, so kläglich scheitert. Alte Fehler
werden einfach fortgeschrieben. Klassisches Beispiel ist das
Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Anstatt mit diesem weitgehend
wirkungslosen Gesetz der Hotelbranche eine Milliarde Euro an
Steuerreduzierung zu gewähren, hätte die Regierung den verringerten
Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent befristet für zukunftsweisende
Sektoren wie den ökologischen Landbau, der viele Vorteile beim
Klimaschutz und dem Erhalt der biologischen Vielfalt aufweist, gewähren
können", sagte Weinzierl. Die Bundesregierung habe die drängenden
Fragen, wie alle diese Ausgaben gedeckt werden können, nicht
beantwortet. Bei einem Gesamtschuldenstand des Staates von 1,6
Billionen Euro, einer Neuverschuldung allein des Bundes für 2010 von
über 86 Milliarden Euro und in den nächsten vier Jahren von über 262
Milliarden Euro müsse das Steuer- und Abgabensystem nachhaltig
umgestaltet werden. Nach Auffassung des DNR seien strenge Vorschriften
zur Eindämmung des Einflusses der Banken ebenso erforderlich wie die
Einführung einer Börsenumsatzsteuer. Ein geringer Steuersatz von 0,1
Prozent erbringe dort ein Steueraufkommen von mehr als 35 Milliarden
Euro. Auf der anderen Seite könnten nach Untersuchungen des
Umweltbundesamtes aus dem Jahre 2006 die Ausgaben durch den Abbau
umweltschädlicher Subventionen in Höhe von 42 Milliarden Euro spürbar
verringert werden.
Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und
Naturschutz Deutschland (BUND): "Wie in anderen Politikfeldern wird
deutlich, dass die Bundesregierung auch im Umweltbereich einen
Zick-Zack-Kurs fährt. Es gibt viele Ankündigungen und Versprechen, der
notwendige ökologische Umbau der Wirtschaft aber wird auf die lange
Bank geschoben.
Besonders sichtbar ist dies im Agrarsektor, wo mit
milliardenschweren Subventionen die Überproduktion und der Export von
Milch und Fleisch gefördert werden. Diese Politik macht vielen
bäuerlichen Betrieben den Garaus, der Milchpreis ist im Keller und die
Bauern protestieren zu Recht. Unverantwortlich ist auch, dass
Schwarz-Gelb den Anbau der Genkartoffel Amflora unterstützt. Mit der
Nennung dieses Namens hat es erstmals ein konkretes Unternehmensprodukt
- in diesem Falle vom Chemieunternehmen BASF – in den Koalitionsvertrag
einer Bundesregierung geschafft. Dies zeigt, wohin die Reise geht: die
Absatzinteressen der Industrie, in diesem Falle der Gentechnik- und
Agroindustrie, bekommen Vorrang. Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz
bleiben auf der Strecke."
Weiger warnte auch vor der Tendenz, das Siegel
"ohne Gentechnik" zu diffamieren. Weil ihr die gentechnikfreie
Lebensmittelproduktion ein Dorn im Auge sei, bekämpfe eine unheilige
Allianz aus Teilen der Ernährungsindustrie, dem Deutschen Bauernverband
und Unions-Abgeordneten dieses Siegel. Insbesondere
Bundesagrarministerin Ilse Aigner müsse Flagge zeigen und für die
weitere Durchsetzung der "ohne Gentechnik"-Kennzeichnung eintreten. Nur
dann habe der Verbraucher Sicherheit, dass Produkte wie Fleisch, Milch
und Eier ohne den Einsatz von gentechnisch verändertem Futter
produziert werden.
NABU-Präsident Olaf Tschimpke forderte die
Regierung auf, die im Koalitionsvertrag versprochenen Bundesprogramme
für Biologische Vielfalt und Wiedervernetzung der Landschaft
hochwertig, finanzstark und schnell umzusetzen. "Diese Programme müssen
sich im Haushalt des Bundesumweltministeriums wiederfinden. Im
Internationalen Jahr der Biodiversität brauchen wir eine spürbare
Trendwende für Natur und Arten", sagte Tschimpke. "Hier ist die
Bundesregierung gefordert. Speziell die Kanzlerin und das
Finanzministerium müssen den schönen Worten nun Taten und Gelder folgen
lassen", so Tschimpke weiter. Zudem müsse das Agrarministerium Mittel
für Naturschutz- und Klimaschutzmaßnahmen umwidmen. Zuletzt habe die
Grüne Woche wieder gezeigt, dass Deutschland auch von einer
Klimaschutzwende in der Landwirtschaft noch weit entfernt sei. "Außer
Lippenbekenntnissen soll es keine verbindlichen Ziele und Maßnahmen
geben. Dabei trägt die Zerstörung von Mooren und Grünland sowohl zum
Verlust der biologischen Vielfalt als auch zu rund 40 Prozent der
Treibhausgas-Emissionen durch die Landwirtschaft bei", kritisierte
Tschimpke.
Für Greenpeace gibt die Bundesregierung beim Thema
Atomkraft nach 100 Tagen ein konfuses Bild ab. "Umweltminister Röttgen
bezeichnet den Atomausstieg als unumkehrbar, während
Wirtschaftsminister Brüderle die Reaktoren am liebsten noch 20 Jahre
länger am Netz lassen würde. Und Kanzlerin Merkel geht bei diesem Thema
lieber auf Tauchstation", stellte Greenpeace-Geschäftsführerin Brigitte
Behrens fest. Sie warnte die Bundesregierung vor einer Verlängerung der
Reaktor-Laufzeiten. "Die Mehrheit der Bundesbürger ist gegen längere
Laufzeiten. Sie bedeuten noch mehr Atommüll, von dem niemand weiß,
wohin damit. Sie erhöhen die Gefahr terroristischer Anschläge mit
unabsehbaren Folgen und sie behindern massiv den Ausbau der
Erneuerbaren Energien". Mit seinem blinden Pro-Atom-Kurs unterbinde
Wirtschaftsminister Rainer Brüderle auf Jahre den Wettbewerb im
Strommarkt und blockiere mittelständische Energieunternehmen. "Die
Wahlversprechen der FDP, man werde sich gegen die Monopole der
Stromkonzerne stellen und den Mittelstand fördern, waren nur heiße
Luft", so Behrens. Inakzeptabel sei auch, dass die Regierung erstmals
seit zehn Jahren wieder den Neubau von Atomkraftwerken im Ausland mit
Hermes-Krediten finanziell absichern wolle. "Wer behauptet, Atomkraft
sei nur eine Brückentechnologie, zugleich aber den Neubau von Reaktoren
in Brasilien absichert, täuscht die Öffentlichkeit", so Behrens.
Positiv bewertet Greenpeace, dass die Regierung den in dem maroden
Schacht Asse gelagerten Atommüll vollständig wieder zurückholen will.
"Frau Merkel sollte aus dem Asse-Skandal Lehren ziehen und eine offene
Endlagersuche starten, statt sich weiter an das ungeeignete Salzlager
in Gorleben zu klammern", so Behrens.
In Sachen Klimaschutz komme die Bundesregierung
nicht aus den Startlöchern, kritisierte der WWF Deutschland. Zwar habe
sich die Regierung mit der Festlegung, den Treibhausgas-Ausstoß bis
2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 unkonditioniert senken zu wollen, gut
positioniert. Es bleibe jedoch völlig unklar, wie dieses Ziel erreicht
werden solle. "Die Regierung muss jetzt die Weichen stellen, damit wir
zur Mitte des Jahrhunderts den Treibhausgasausstoß auf fast Null fahren
können", betonte WWF-Vorstand Eberhard Brandes. Das werde den Aufbau
ganz neuer Infrastrukturen voraussetzen und damit viele zukunftsfähige
Arbeitsplätze schaffen. In der WWF-Studie "Modell Deutschland" werde
vorgerechnet, wie dieses Ziel erreicht werden könne. Beim Klimagipfel,
so der WWF, habe sich gezeigt, dass die von der Bundesregierung
unterstützte EU-Strategie, die Reduktionsziele von Zusagen anderer
Staaten abhängig zu machen, nicht getragen habe. Sie müsse
schnellstmöglich geändert und den wissenschaftlichen Anforderungen
entsprechend eine Reduktion von mindestens 30 Prozent bis 2020
gegenüber 1990 beschlossen werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel müsse
dafür sorgen, dass die EU bei den weiteren Klimaverhandlungen nicht
noch einmal so blutleer auftrete wie in Kopenhagen. Der WWF begrüßte
die Ankündigung der Bundeskanzlerin, ein Energiekonzept für Deutschland
erarbeiten zu lassen. Allerdings dürfe dies nicht im stillen Kämmerlein
mit den Managern der großen Energieunternehmen ausgekungelt werden. Um
eine breite Akzeptanz zu finden, brauche es eine offene Diskussion und
die Beteiligung der Umweltverbände. Vor allem müssten neben der
Stromversorgung alle für den Klimaschutz wichtigen Sektoren wie der
Verkehr, die Wärmeversorgung und die Landwirtschaft berücksichtigt
werden.
Mehr Informationen
* Schwarz-Gelbe 100-Tage-Umweltbilanz vom BUND (PDF)
* Auf dem Laufenden bleiben über BUND-Aktionen gegen Atomkraft
* Auf dem Laufenden bleiben über BUND-Aktionen für den Erhalt der Biodiversität
* Auf dem Laufenden bleiben über BUND-Aktionen gegen Massentierhaltung