Zürich (agrar-PR) - In allen Berggebieten der Welt finden Forscher Pflanzen, die von
anderen Kontinenten stammen und zur ernsthaften Konkurrenz von
einheimischen Arten werden. Damit invasive Fremdlinge Einheimisches
nicht verdrängen, braucht es Überwachung. Und manchmal viel Handarbeit.
Rund um den Globus sind invasive Arten auf dem Vormarsch.
Sie verändern Ökosysteme und gefährden die angestammte Biodiversität. Unter den
auffälligsten Invasoren sind oft Pflanzen, zum Beispiel in der Schweiz:
Goldruten aus Nordamerika überwuchern artenreiche Riedwiesen in
Naturschutzgebieten, entlang von Flüssen und Bächen gedeiht das Drüsige
Springkraut aus dem Himalaja besonders gut ebenso wie der Japanische
Staudenknöterich aus Ostasien.
Auch auf anderen Kontinenten bedrohen invasive Organismen
die natürliche Vielfalt. Besonders stark betroffen sind Inseln, wie die
Seychellen, oder auch Australien. Dort setzten europäische Siedler zahlreiche
Tiere und Pflanzen frei, die der einheimischen Flora und Fauna überlegen sind
und die einmalige Biodiversität des Kontinents bedrohen.
Kein Berg zu hoch?
Forscher befürchten, dass gebietsfremde
Pflanzenarten zunehmend auch Bergregionen besiedeln und deren empfindliche
ökologische Gleichgewichte stören. Diese Furcht ist nicht
unbegründet. In einigen Gebirgen der Welt haben sich eingeführte oder
eingeschleppte Pflanzen gegen die Einheimischen durchgesetzt, mit teils
gravierenden Folgen für die Ökosysteme.
In gewissen Gebieten der Anden Zentralchiles dominiert
der europäische Löwenzahn. Dort siedelt er sich in Polsterpflanzen an und
verdrängt einheimische Pflanzen, die ebenfalls in diesen Polstern gedeihen.
Zudem lockt er mit seinen auffallenden gelben grossen Blüten mehr Insekten an
als die Einheimischen, denen letztlich die Bestäuber fehlen.
Gewisse Berghänge Hawaiis sind komplett mit europäischen
Wiesenpflanzen bedeckt. Kaum eine einheimische Pflanze kann dort noch wachsen.
Und in den Australischen Alpen in Südaustralien hat sich das Orangerote
Habichtskraut festgesetzt, so dass die Nationalparkbehörden befürchten, es
könne sich so stark ausbreiten wie in Neuseeland. Die Pflanze wird deshalb
präventiv bekämpft.
100 werden bekämpft
Ein Blick in die Daten des an der ETH Zürich
angegliederten
Mountain Invasion Research Network (MIREN) zeigt: Global sind
1500 Pflanzenarten bekannt, die in den Gebirgen weltweit potentiell invasiv
werden können. 100 davon werden mittlerweile bekämpft, viele wie das Habichtskraut als reine Vorsichtsmassnahme.
Hauptursache für Invasionen von gebietsfremden Pflanzen
ist der Mensch. So werden «Exoten» eingeführt, zunehmend auch in bis anhin
unberührte Bergregionen, etwa zur Bepflanzung von Beeten rund um Hotelanlangen
und Resorts. Diese Gartenpflanzen stammen oft aus anderen alpinen Regionen der
Welt und sind an raues Klima angepasst. «Pflanzen, die der Mensch bewusst
einführt, scheinen häufiger zum Problem zu werden als zufällig verbreitete»,
weiss Christoph Küffer, Oberassistent am Institut für Integrative Biologie und
MIREN-Koordinator.
Invasion entlang von Strasse und Schiene
Einfallstore für Nichteinheimisches in die Berge sind
auch Bahnlinien oder Passstrassen. Denn an Verkehrsachsen treffen invasive
Pflanzen auf Bedingungen, die ihnen bei der Ausbreitung helfen, etwa durch den
Strassen- oder Schienenbau entstandene Schutthalden oder weggeschürfte Borde
sowie Strassenränder aus Kies.
Noch vergleichsweise harmlos präsentiert sich die
Situation in den Schweizer Alpen. «Es gibt weltweit noch keinen gesicherten Nachweis
dafür, dass eine invasive Pflanzenart alleine der Hauptfaktor für das
Aussterben einer einheimischen Art ist», sagt Tim Seipel, Doktorand am Institut
für Geobotanik. Er untersucht derzeit, ob und auf welche Höhen invasive
Pflanzen in die hiesige Bergwelt eingedrungen sind.
Höhe grenzt Ausbreitung ein
2009 kartierte er 230 Stellen entlang von Strassen oder
Bahnlinien in den Schweizer Alpen und verglich die Verbreitung invasiver Arten
mit zwei früheren Bestandsaufnahmen. Sein vorläufiges Fazit: Eingeführte Pflanzen, die schon länger
in der Schweiz vorhanden und im Flachland entsprechend weit verbreitet waren,
sind in grösserer Höhe anzutreffen als solche, die erst vor kurzem aufgetaucht
sind. Andererseits haben sich die meisten Arten zwischen 2003 und 2009 nicht
weiter in grössere Höhen ausbreiten können. Die Vielfalt invasiver Arten nimmt
mit zunehmender Höhe rapide ab. Auf 2000 Metern über Meer kann sich kaum ein
halbes Dutzend Arten halten.
Eine Pflanze mit
Potenzial zur invasiven Art in den Schweizer Bergen ist die Lupine, eine
beliebte Gartenpflanze. Vor 170 Jahren wurde sie in Deutschland eingeführt,
seit rund 70 Jahren ist sie auch in der Schweiz verwildert anzutreffen. Sie stammt
ursprünglich aus dem pazifischen Nordwest-Amerika. Dort sind die Sommer kühl
und regenreich und im Winter liegt viel Schnee – wie in den mittleren Lagen der
Schweizer Alpen. Ab 1300 Metern Höhe fühlt sich die Lupine denn auch am
wohlsten, was ihr hilft, Grenzen von Haus- und Hotelgärten zu überwinden.
Gartenblume mit Potenzial
Beispielsweise auf der Schatzalp ob Davos hat Tim Seipel
eine Wiese im Visier, auf der die Lupine dominiert und alles überwächst. Auch
entlang des Furkapasses beobachtet der Botaniker, dass die Lupine Wurzeln
ausserhalb eines Hotelgartens geschlagen hat und sich ohne menschliches Zutun
vermehrt. Noch sind diese Vorkommen lokal begrenzt und sind für die
einheimische Flora nicht bedrohlich. Aber die Wissenschaftler wollen sie im
Auge behalten. «Am einfachsten ist es, invasive Arten zu bekämpfen, wenn sie
noch nicht so grosse Bestände bilden», sagt Küffer. Kleine Bestände lassen sich
relativ rasch und sicher unter Kontrolle bringen. Gerade in bergigen Gebieten
müssen die Pflanzen aber oft in mühseliger Handarbeit einzeln ausgerissen und
entsorgt werden.
Handel kontrollieren
Erfolg bei der Bekämpfung von invasiven Arten verspricht
sich Küffer von Risikoanalysen über das Verhalten von Pflanzen, die
gehandelt
werden sollen, sowie einer besseren und effizienteren Überwachung der
Transportwege von Gartenpflanzen. In vielen Ländern gebe es ein
riesiges
Reservoir an potentiellen Gartenpflanzen, die bei uns noch nicht
eingeführt, wohl aber für den Gartenbau attraktiv seien. «Forschung,
Naturschutz und
Gartenbau müssen besser zusammenarbeiten, um weitere Invasionen
unerwünschter
Arten zu verhindern», findet Küffer.