Bonn (agrar-PR) -
Wissenschaftler messen die Temperatur im höchsten Berg Deutschlands. Ihr Ziel: die Vorhersage gefährlicher Felsstürze Forscher der Universität Bonn haben eine raffinierte Methode
entwickelt, um die „Innentemperatur“ des Zugspitz-Gipfels zu messen:
Sie setzen das Gestein unter Strom und messen seine Leitfähigkeit.
Daraus können sie auf die Temperaturverteilung im Fels schließen. Die
Wissenschaftler haben ihre Ergebnisse nun im „Journal of Geophysical
Research – Earth Surface“ vorgestellt (doi:10.1029/2008JF001209). Sie
wollen die Methode nutzen, um gefährliche Felsstürze vorherzusagen.
Erwärmung gilt als eine wichtige Ursache derartiger Naturkatastrophen.
Vor 3.700 Jahren verlor Deutschland vermutlich seinen einzigen
Dreitausender. Innerhalb weniger Minuten brach ein 900 Meter hoher
Felskeil aus der Nordflanke der Zugspitze ab – darunter wahrscheinlich
auch Teile des Gipfels. Fast vierhundert Millionen Kubikmeter Geröll
rasten mit einem gewaltigen Donnern zu Tal. Wollte man die Trümmer
wegschaffen, bräuchte man dazu einen Güterzug von 50.000 Kilometern
Länge – das ist mehr als der Erdumfang. Heute leben auf den Überresten
der Zugspitz-Nordflanke über 10.000 Menschen.
Der Bergsturz
war wohl eine Spätfolge des Klimawandels im Holozän: Vor etwa 6.000
Jahren setzte nämlich eine Warmphase ein, in deren Verlauf sich die
Durchschnittstemperatur in den Alpen um bis zu zwei Grad erhöhte.
Hatten zuvor die eisigen Temperaturen den Zugspitz-Gipfel dauerhaft bei
Minusgraden gehalten, begann das Gestein nun zu tauen. Dadurch wurde es
zunehmend instabil: Die Katastrophe nahm ihren Lauf.
Sollte
diese Theorie stimmen, stehen den Einwohnern von Garmisch-Partenkirchen
eventuell gefährliche Zeiten bevor. Denn momentan steigt das
Quecksilber am Zugspitz-Gipfel wieder: Die Lufttemperatur dort oben
beträgt heute im Jahresschnitt -3,9 Grad Celsius – das ist fast ein
Grad wärmer als noch zwischen 1961 und 1991. „Wir wollen wissen, welche
Auswirkungen das auf die Stabilität des Gesteins hat“, sagt Dr. Michael
Krautblatter vom Geographischen Institut der Uni Bonn.
Dazu
müssen die Forscher zunächst einmal herausfinden, wie viel von der
Erwärmung im Inneren der Felsen ankommt. Einfach tiefe Löcher zu bohren
und Thermometer hineinzustecken, funktioniert in den bereits instabilen
Bereichen nicht. Stattdessen nutzen die Wissenschaftler ein
elektrisches Tomographie-Verfahren. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde
in die Nordwand des Zugspitz-Gipfels ein fast 300 Meter langer Stollen
gegraben. „In die Wand dieses Stollens haben wir 140 Elektroden
geschraubt“, erläutert Krautblatter. „An jeweils zwei davon legen wir
eine Spannung an – an welche zwei, wird variiert. An allen anderen
messen wir, wie viel Strom dort ankommt.“
Die Forscher gewinnen
so pro Messtag mehr als 1.400 Werte. Hieraus können sie mit Hilfe
tomographischer Algorithmen die Verteilung der elektrischen
Leitfähigkeit innerhalb des Felsens bestimmen. Und diese hängt stark
von der Temperatur ab. Das Gestein an sich leitet Strom nämlich nicht.
Es enthält aber winzige mit Wasser gefüllte Hohlräume. Darin gelöst
sind geladene Teilchen, die Ionen. Solange das Wasser flüssig ist,
können sie sich bewegen. Sobald es aber gefriert, ist es mit ihrer
Beweglichkeit vorbei: Die Leitfähigkeit sinkt. „Und zwar nicht abrupt,
sondern in Abhängigkeit von der Temperatur“, erklärt der Bonner
Geophysiker Professor Dr. Andreas Kemna. „Anfangs sind nämlich nur
Teile des Wassers gefroren. Dieser Anteil nimmt aber mit steigenden
Minusgraden schnell zu.“
Um diese Zusammenhänge zu verstehen,
hatten die Forscher zunächst ein Stück Zugspitz-Gestein in ihr Bonner
Labor verfrachtet. Dort ließen sie es kontrolliert auftauen und
abkühlen und ermittelten dabei die Änderung der Leitfähigkeit. Ihre
Ergebnisse übertrugen sie dann auf die Messwerte aus dem Feldversuch.
Monat für Monat konnten sie so ein Tomographiebild des Zugspitz-Gipfels
erstellen, an dem sich die Temperatur im Gestein ablesen lässt. Und das
lokal für jeden Bereich zwischen Stollen und Nordwand. „Wir können also
beispielsweise sagen: An dieser Stelle ist der Felsen in neun Metern
Tiefe -3 bis -4 Grad kalt“, sagt Kemna.
Die aktuelle Studie
ist weltweit der erste Beleg, dass so etwas überhaupt geht. So ist auf
den Tomographiebildern gut zu erkennen, wie sich die Temperatur im Fels
während des Frühjahrs und Sommers schrittweise erhöht. Die
Permafrost-Zone (das ist der Bereich, in dem dauerhaft Temperaturen
unter Null herrschen) wird dabei sukzessive kleiner. Besonders trifft
die saisonale Erwärmung Stellen in der Nordwand, die nicht von einer
isolierenden Schneeschicht bedeckt sind.
Wärme lässt Felsen rutschenDie
Forscher haben inzwischen auch erste Anhaltspunkte, wie sich die
Erwärmung auf die Stabilität des Gesteins auswirkt. „Wir konnten bei
Experimenten in unserer Kältekammer zeigen, dass die Reibung zwischen
zwei Felsen bei steigenden Temperaturen sinkt“, erklärt Michael
Krautblatter. „Die feinen Unebenheiten, die das Gestein miteinander
verzahnen, werden dann instabiler und schleifen sich leichter ab. Wir
beobachten an der Zugspitze momentan einen großen Steinquader, der seit
ewigen Zeiten auf einer steil abschüssigen Felswand ruht. Wenn die
Temperaturen sich weiter nach oben entwickeln, könnte es mit dieser
Ruhe bald vorbei sein.“ Sollte sich der Quader tatsächlich lösen und
ins Tal schießen, kann das weitere Felsstürze auslösen – ähnlich wie
ein einzelner Skiläufer ein ganzes Schneefeld ins Rutschen bringen kann.