Stuttgart (agrar-PR) -
Schwergewichte der Forschung: Universität Hohenheim schafft Forschungsverbund mit Israel und Palästina Die Tilapia, ein Warmwasserfisch in
Afrika und Vorderasien, könnte ein wichtiger Eiweißlieferant in der
Westbank, dem palästinensischen Teil des Jordantals, sein. Das Problem:
Die Fische vermehren sich so stark, dass sie aufgrund der großen
Konkurrenz im Teich sehr klein bleiben und nur schlecht verkauft werden
können. Ein neuer Forschungsansatz der Universität Hohenheim und
Partnern in Israel und Palästina will nun eine natürliche
Fortpflanzungskontrolle entwickeln – und so die bislang verwendeten
Hormonkeulen verdrängen. Die 300-Gramm-Tilapia der Zukunft wäre ein
relativ preiswertes und leicht verfügbares Lebensmittel für die
Bevölkerung vor Ort; und ein Plus an lebenswichtigem Eiweiß. Die
deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das trilaterale Projekt
mit 1,55 Millionen Euro. Der Anteil für die Universität Hohenheim
beträgt 700.000 Euro.
Ohne
Regelung lässt sich nie Ruhe in den Teich bringen: Fast ganzjährig
brüten die Tilapia-Weibchen in ihrem Maul Tausende von winzigen Fischen
heran. „Setzt man im Frühjahr fünf Tilapia-Paare aus und überlässt sie
sich selbst, sind es im Herbst schon 200.000 Tiere“, verdeutlicht Prof.
Dr. Klaus Becker, Experte für Aquakultur der Universität Hohenheim und
Leiter des Forschungsprojekts.
Die herkömmliche Maßnahme gegen die übermäßige
Vermehrung ist die Anwendung von künstlichem Testosteron: wenn
Jungfische im ersten Monat über das Futter 17α-Methyltestosteron
verabreicht bekommen, werden alle Fische zu funktionalen Männchen. Wenn
im Teich nur männliche Fische sind, dann gibt es auch keine
Fortpflanzung.
„In der EU ist diese Methode längst verboten. Es
besteht der Verdacht, dass das synthetische Testosteron für den
Menschen karzinogen ist. Zudem ist das Umweltrisiko durch sehr langsam
abbaubare Reste des Hormons hoch“, erklärt Co-Leiter PD Dr. Ulfert
Focken.
Geburtenkontrolle mit natürlichen Inhaltsstoffen
Statt künstlicher Männlichkeitshormone setzen die
Forscher um Prof. Dr. Becker auf natürliche Saponine. Der Name dieser
Stoffgruppe leitet sich von Seife ab. Saponine sind daran zu erkennen,
dass sie im Wasser zu Schaumbildung führen können. Sie sind zum
Beispiel in Kastanien vorhanden und wurden früher auch in Deutschland
als Seifenersatz benutzt. Aus den Samen des Bockshornklees, der im
Westjordanland wächst und Bestandteil vieler orientalischer Süßspeisen
ist, extrahieren Prof. Dr. Beckers palästinensische Kooperationspartner
das Wundermittel. „Der Bockshornklee ist um ein Vielfaches billiger zu
bekommen als künstlich hergestellte und importierte Hormone“, so PD Dr.
Focken.
Bestimmte Saponine beeinflussen das Hormonsystem
der Fische dahingehend, dass sich die weiblichen Fischlarven nicht zu
voll funktionsfähigen Weibchen entwickeln können. „Auf völlig
natürlichem Wege kann damit die Menge der abgelegten Eier stark
reduziert werden“, so PD Dr. Focken.
Die molekularen Strukturen der Saponine und die
Mechanismen mit denen sie in das Hormonsystem eingreifen sind noch
nicht geklärt. Diese Forschungsfragen des Projektes sind
wissenschaftliches Neuland. Wenn die Mechanismen geklärt sind, können
vielleicht noch viel wirksamere Substanzen identifiziert und/oder
extrahiert werden. Die Ergebnisse sind für die weltweite Produktion von
Tilapien in der Aquakultur (derzeit 2.1 Mio Tonnen pro Jahr) von
Bedeutung.
Ziel des Forschungsprojektes ist es, mit den
Naturstoffen eine ähnlich hohe Wirkung zu erreichen wie mit
synthetischemTestosteron. „Die wilde Vermehrung der Fische mittels
natürlicher Substanzen in den Griff zu bekommen, das ist unser
langfristiges Ziel“, stellt Prof. Dr. Becker heraus.
Dickere Fische für den Wochenmarkt
Saponine sind nicht nur eine Anti-Baby-Pille,
sondern beschleunigen auch das Wachstum. „Saponinzusatz zum Futter
sorgt dafür, dass der einzelne Fisch um mehr als 200 Gramm größer wird
und damit ein großes Plus an Eiweiß bietet“. Diesen Zusammenhang hatten
die Wissenschaftler durch Zufall entdeckt. „Damit haben wir eine
natürliche Alternative zu Antibiotika gefunden, welches noch bis zum
Verbot im Jahr 2005 als Wachstumsförderer bei vielen Masttieren
eingesetzt wurde“, beschreibt PD Dr. Focken.
Prof. Dr. Becker und sein Team leisten damit einen
entscheidenden Beitrag zur Ernährungssicherung in Palästina und anderen
Entwicklungsländern. Eiweißmangel ist ein weit verbreitetes Problem in
der Region, denn der Bedarf an tierischem Eiweiß kann durch
Fleischimporte und Schafzüchtung nur unzureichend gedeckt werden. „In
der Westbank Fische produzieren, die sich die palästinensische
Bevölkerung auch leisten kann“, das ist der Anspruch der Hohenheimer
Agrarwissenschaftler um Prof. Dr. Klaus Becker.
Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg
Wissenschaftler aus drei Ländern arbeiten an dem
Forschungsvorhaben. Die Experten der palästinensischen Al Quds
Universität in Ost-Jerusalem extrahieren Saponine aus den Samen des
Bockshornklees. Ausserdem entwickeln sie ein Fischfutter aus vor Ort
verfügbaren Grundstoffen, dem später dann Saponine beigefügt werden
sollen.
An der Hebrew Universität in Rehovot, Israel,
erforschen Wissenschaftler, wie Saponine die Bildung von Östrogenen
unterdrücken und damit die Entwicklung von funktional weiblichen
Fischen verhindern. Außerdem untersuchen die israelischen Forscher die
Molekülstrukturen der Saponine und ihre Abbauprodukte, um die
Wirkungsweise ableiten zu können.
Wirkstoff und Futtermittel kommen an der
Universität Hohenheim zusammen. Prof. Dr. Klaus Becker und sein Team
testen die neuartigen hormonfreien Wirkstoffe. In den Aquarien ihrer
Versuchsanlagen experimentieren sie, wie sich eine bestimmte
Zusammensetzung von Fischfutter und Saponin-Konzentration auf die
Fischlarven auswirkt. Ist das perfekte Mischverhältnis gefunden, soll
die neue Mischung unter praxisnahen Bedingungen an Tilapien in einer
neu aufgebauten Aquakulturanlage in Jericho, Palästina, getestet
werden.
Trilaterale Projekte der DFG
Das Projekt „Steigerung der Produktivität und
Effizienz der Niltilapiaproduktion durch Einsatz von pflanzlichen
Saponinen und die Einführung der Aquakultur in Palästina“ wird im
Rahmen des Sonderprogramms „Trilaterale Projekte der DFG“ gefördert.
Damit will die DFG insbesondere die Zusammenarbeit zwischen deutschen,
israelischen und palästinensischen Wissenschaftlern fördern. Das
Projekt läuft seit 2006, kürzlich hat die DFG die Förderung um weitere
zwei Jahre verlängert. Insgesamt sind damit rund 1,3 Mio Euro an die
Universität Hohenheim und ihre Partner geflossen. Neben zahlreichen
Forschungsaufenthalten einzelner Wissenschaftler bei Projektpartnern
treffen sich alle Kooperationspartner regelmäßig in Israel, der
Westbank oder in Deutschland zu Workshops um die erzielten Fortschritte
zu diskutieren und die kommenden Arbeiten zu planen.
Hintergrund: Schwergewichte der Forschung
Rund 26 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten
Forscher der Universität Hohenheim allein im vergangenen Jahr – gut 20
% mehr als im Vorjahr. In loser Folge präsentiert Ihnen die Reihe
„Schwergewichte der Forschung“ herausragende Forschungsprojekte mit
einem Drittmittelvolumen von mindestens einer Viertelmillion Euro, bzw.
125.000 Euro in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.