09.12.2009 | 00:00:00 | ID: 4069 | Ressort: Landwirtschaft | Markt & Trends

Flexibel in den freien Milchmarkt

Hannover (agrar-PR) - Milchtagung
Die Agrarpreisschwankungen gleichen einer Achterbahnfahrt. Statt langfristiger Planungen sind von den Landwirten, besonders von den Milchbauern, kurzfristige Risikostrategien und globales Denken gefragt.

Sicher scheint nur, dass es spannend bleibt auf dem Milchmarkt, so lautete das Fazit der vierten Göttinger Fachtagung für Milchwirtschaft. Sie hatte zum Thema: „Milchproduktion 2010: Märkte und Strategien im Wandel – Gelten die alten Regeln noch?"

Die Welt im Blick

„Volatile Märkte können auch Spaß machen", provozierte Dr. Torsten Hemme vom International Farm Comparison Network (IFCN) vor allem die Milchbauern im Publikum, schränkte jedoch gleich ein: „Dazu müssen wir sie beherrschen und vor allem verstehen!" Das IFCN in Kiel befasst sich genau damit. Ein weltweites Forschungsnetzwerk mit Beispielbetrieben in 80 Ländern soll das Verständnis für die Entwicklungen am Milchmarkt erhöhen und einen Vergleich ermöglichen.

Weltmarktführer für Milchproduktion ist die Europäische Union, der zweite Rang wurde den USA allerdings inzwischen von Pakistan und Indien abgelaufen. Dieses Schicksal drohe nach Ansicht Hemmes auch der EU. „Die Milchproduktion wandert dorthin, wo das Gras grüner ist", ist er sich sicher. Damit bezog sich Hemme auf die vier wichtigen Faktoren Einkommen, Produktionskosten, Fläche und Arbeit, die ein zukunftsfähiges Milchproduktionssystem ausmachten. Wenn in der EU beispielsweise die Fläche knapp oder die Arbeit zu teuer wird, dann wandere die Milchproduktion in Länder mit höherem Potenzial, wie zum Beispiel nach Indien oder Pakistan. 120.000 Haushalte weltweit lebten von der Milch von zwei oder drei Kühen, das betrifft jeden siebten Menschen auf der Welt. „Ein Großteil der Milch wird so produziert, und nicht in den Industriebetrieben in den USA oder Kanada", beschrieb Hemme die Situation und verwies gleichzeitig auf die Gefahren. „Bei Preisschwankungen sind es diese Betriebe, die ihre Existenz verlieren, sie können die Einbrüche nicht abpuffern. Im Gegensatz dazu stehen vor allem die deutschen Familienbetriebe mit ungefähr 80 Kühen durch die hohe Flexibilität bei der Entlohnung der Arbeit gut da", meinte Hemme.

Demnach wäre der Betrieb von Ulrich Westrup aus Linne bei Osnabrück nicht unbedingt gut aufgestellt, langfristige Preistäler unbeschadet zu überstehen. Die Westrup-Koch GbR bewirtschaftet mit mehreren Angestellten über 700 ha, melkt 450 Kühe und betreibt eine Biogasanlage mit 190 kW. Durch die Angestellten sei der Betrieb nach Ansicht Hemmes zu unflexibel, um in Krisenzeiten kurzfristig reagieren zu können. „Der Betrieb ist breit aufgestellt, und auf jeden Betriebszweig hat sich ein Familienmitglied oder Angestellter spezialisiert" konterte Westrup und sieht eben darin seine Stärken.

Strategie entscheidet

Die Strategie der Diversifizierung ist nur eine Möglichkeit, den Betrieb abzusichern. „Entscheidend ist, dass es überhaupt eine Strategie gibt", stellte Claus Schnakenberg vom Beratungsring Beverstedt bei der Betrachtung der Milchhöfe im Elbe-Weser-Dreieck fest. Ob sich die Betriebsleiter auf eine hohe Milchleistung, hohe Arbeitsproduktivität, bessere Milchpreise oder die Kostenkontrolle ausrichten, sei dabei von untergeordneter Bedeutung. Das klare Ziel mache in den Kennzahlen den Unterschied aus. Betriebe ohne Strategie stünden bei Kosten, Leistungen und Einnahmen eindeutig schlechter da.

Über mehrere Jahre betrachtet habe sich für die Milcherzeuger im Landkreis Cuxhaven einiges getan. Auffällig sei der Anstieg der Lohnkosten, die Ausgaben für die Quote hingegen gingen zurück. Bis 2017 erwartet Schnakenberg eine Ausweitung der Milchproduktion in der Region um drei bis fünf Prozent, das sind 28.000 bis 35.000 Kühe zusätzlich.

Die Höfe dort wachsen durch Intensivierung. Dazu werde die Grünlandqualität verbessert, Getreideanbau, Jungviehaufzucht und Rindermast aufgegeben oder frei werdende Kapazitäten beispielsweise für die Biogasproduktion genutzt. „Färsen bringen keinen Gewinn, es ist verwunderlich, dass viele Landwirte immer noch bereit sind, mit dem wenigen Milchgeld diesen Betriebszweig zu subventionieren", machte Schnakenberg den Landwirten klar. Der Ringberater sprach aber auch die Politik an: „Wir brauchen bei derartigen Schwankungen eine steuerfreie Risikorücklage", forderte er. Ein weiteres Ärgernis sind für ihn die Cross Compliance Überprüfungen: „Häufig treffen überforderte Landwirte mit übermotivierten Kontrolleuren zusammen. Die Vorgaben und Kontrollen müssen einfach angemessen sein!"

Die wachsenden Milchviehbetriebe in Norddeutschland machten die Strukturdefizite der Milchproduktion in Bayern noch deutlicher. Prof. Helmut Hoffmann von der Technischen Universität München - Weihenstephan räumte ein: „Durchschnittlich hatte ein Milchbauer in Deutschland 2007 ungefähr 40 Kühe, in Bayern waren es nur 25. Wir drücken also den Schnitt und würden uns lieber mit Österreich mit durchschnittlich elf Kühen pro Betrieb vergleichen, da stehen wir besser da."

In Modellen hat Hoffmann errechnet, dass bei einem Milchpreis von 28 Cent bis 2014 etwa fünf bis zehn Prozent der bayrischen Milchviehbetriebe aufgeben würden, bei einem Preis von unter 25 Cent wären es sogar über 30 Prozent. In den vergangenen 30 Jahren habe sich die Anzahl der bayrischen Milchkuhhalter bereits um zwei Drittel reduziert. „Die Produktionskosten für die Betriebe mit weniger als 30 Kühen sind einfach zu hoch, und das sind immerhin ungefähr 60 Prozent aller Milchkuhhalter", bedauerte Hoffmann, sieht aber wegen sinkender Direktzahlungen auch keine Rettung durch die Grünlandprämie.

Dennoch berichtete Hoffmann von zukunftsorientierten Molkereien im Süden: „Ein Siebtel der bayrischen Milch wird nach Italien exportiert, außerdem sind sie durch die Erzeugung von Markenprodukten gut aufgestellt", sagte er. Mit der Markeneinführung hätten die Genossenschaftsmolkereien in Norddeutschland noch Probleme. Trotzdem stehe Nordmilch im IFCN-Ranking der weltweit größten Molkerein auf Platz 13. Die Genossenschaft als Unternehmensform bringe allerdings viele Schwierigkeiten mit sich, weiß Prof. Achim Spiller vom Lehrstuhl für Agrarmarketing der Universität Göttingen. „Langwierige Entscheidungsprozesse, hohe Kosten durch die Organe der Genossenschaft und die geringe Investitionsbereitschaft der Mitglieder in den Markenaufbau oder die Internationalisierung machen die Unternehmen unflexibel", erklärte Spiller. Langfristige Geschäftsbeziehungen, wie sie zwischen Landwirten und Genossenschaften bisher üblich waren, würden wegen schwankender Preise von den Milchbauern zunehmend in Frage gestellt und inzwischen stiegen fünf Prozent der Milchviehhalter pro Jahr aus dem Genossenschaftssystem aus.

Bessere Gremienarbeit

„Außerdem stimmt etwas nicht bei der Gremienarbeit", stellte Spiller fest. „Sind sie tatsächlich noch eine demokratische Lieferantenvertretung, oder inzwischen eher ein Sprachrohr der Geschäftsführung?" Spiller zeichnete zwei mögliche Wege für die genossenschaftlich organisierten Molkereien vor. Entweder könne der Genossenschaftsgeist im solidarischen Modell erhalten bleiben, dann blieben allerdings auch die derzeitigen Probleme bestehen, oder die Unternehmen müssten sich weiter den Strukturen einer Kapitalgesellschaft annähern, die Landwirte nur als Kapitalgeber sehen und das Ehrenamt professionalisieren.

An der Liberalisierung der Märkte führt kein Weg mehr vorbei, das wurde bei allen Referenten deutlich. Damit steige auch das Risiko für die Landwirte. Diese müssten sich an die neue Situation anpassen und selbst Sicherungssysteme schaffen. Eine strategische Betriebsplanung sei dafür ebenso wichtig wie die Bildung von Rücklagen, die Suche nach den richtigen Handelspartnern und eine besondere Vorsicht bei Investitionen.
Pressekontakt
Frau Sonja Markgraf
Telefon: 0511/36704-31
E-Mail: pressestelle@landvolk.org
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Landvolk Niedersachsen - Landesbauernverband e.V.
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