Die Agrarpreisschwankungen gleichen einer
Achterbahnfahrt. Statt langfristiger Planungen sind von den Landwirten,
besonders von den Milchbauern, kurzfristige Risikostrategien und
globales Denken gefragt.
Sicher scheint nur, dass es spannend bleibt auf dem
Milchmarkt, so lautete das Fazit der vierten Göttinger Fachtagung für
Milchwirtschaft. Sie hatte zum Thema: „Milchproduktion 2010: Märkte und
Strategien im Wandel – Gelten die alten Regeln noch?"
Die Welt im Blick
„Volatile Märkte können auch Spaß machen",
provozierte Dr. Torsten Hemme vom International Farm Comparison Network
(IFCN) vor allem die Milchbauern im Publikum, schränkte jedoch gleich
ein: „Dazu müssen wir sie beherrschen und vor allem verstehen!" Das
IFCN in Kiel befasst sich genau damit. Ein weltweites
Forschungsnetzwerk mit Beispielbetrieben in 80 Ländern soll das
Verständnis für die Entwicklungen am Milchmarkt erhöhen und einen
Vergleich ermöglichen.
Weltmarktführer für Milchproduktion ist die
Europäische Union, der zweite Rang wurde den USA allerdings inzwischen
von Pakistan und Indien abgelaufen. Dieses Schicksal drohe nach Ansicht
Hemmes auch der EU. „Die Milchproduktion wandert dorthin, wo das Gras
grüner ist", ist er sich sicher. Damit bezog sich Hemme auf die vier
wichtigen Faktoren Einkommen, Produktionskosten, Fläche und Arbeit, die
ein zukunftsfähiges Milchproduktionssystem ausmachten. Wenn in der EU
beispielsweise die Fläche knapp oder die Arbeit zu teuer wird, dann
wandere die Milchproduktion in Länder mit höherem Potenzial, wie zum
Beispiel nach Indien oder Pakistan. 120.000 Haushalte weltweit lebten
von der Milch von zwei oder drei Kühen, das betrifft jeden siebten
Menschen auf der Welt. „Ein Großteil der Milch wird so produziert, und
nicht in den Industriebetrieben in den USA oder Kanada", beschrieb
Hemme die Situation und verwies gleichzeitig auf die Gefahren. „Bei
Preisschwankungen sind es diese Betriebe, die ihre Existenz verlieren,
sie können die Einbrüche nicht abpuffern. Im Gegensatz dazu stehen vor
allem die deutschen Familienbetriebe mit ungefähr 80 Kühen durch die
hohe Flexibilität bei der Entlohnung der Arbeit gut da", meinte Hemme.
Demnach wäre der Betrieb von Ulrich Westrup aus
Linne bei Osnabrück nicht unbedingt gut aufgestellt, langfristige
Preistäler unbeschadet zu überstehen. Die Westrup-Koch GbR
bewirtschaftet mit mehreren Angestellten über 700 ha, melkt 450 Kühe
und betreibt eine Biogasanlage mit 190 kW. Durch die Angestellten sei
der Betrieb nach Ansicht Hemmes zu unflexibel, um in Krisenzeiten
kurzfristig reagieren zu können. „Der Betrieb ist breit aufgestellt,
und auf jeden Betriebszweig hat sich ein Familienmitglied oder
Angestellter spezialisiert" konterte Westrup und sieht eben darin seine
Stärken.
Strategie entscheidet
Die Strategie der Diversifizierung ist nur eine
Möglichkeit, den Betrieb abzusichern. „Entscheidend ist, dass es
überhaupt eine Strategie gibt", stellte Claus Schnakenberg vom
Beratungsring Beverstedt bei der Betrachtung der Milchhöfe im
Elbe-Weser-Dreieck fest. Ob sich die Betriebsleiter auf eine hohe
Milchleistung, hohe Arbeitsproduktivität, bessere Milchpreise oder die
Kostenkontrolle ausrichten, sei dabei von untergeordneter Bedeutung.
Das klare Ziel mache in den Kennzahlen den Unterschied aus. Betriebe
ohne Strategie stünden bei Kosten, Leistungen und Einnahmen eindeutig
schlechter da.
Über mehrere Jahre betrachtet habe sich für die
Milcherzeuger im Landkreis Cuxhaven einiges getan. Auffällig sei der
Anstieg der Lohnkosten, die Ausgaben für die Quote hingegen gingen
zurück. Bis 2017 erwartet Schnakenberg eine Ausweitung der
Milchproduktion in der Region um drei bis fünf Prozent, das sind 28.000
bis 35.000 Kühe zusätzlich.
Die Höfe dort wachsen durch Intensivierung. Dazu
werde die Grünlandqualität verbessert, Getreideanbau, Jungviehaufzucht
und Rindermast aufgegeben oder frei werdende Kapazitäten beispielsweise
für die Biogasproduktion genutzt. „Färsen bringen keinen Gewinn, es ist
verwunderlich, dass viele Landwirte immer noch bereit sind, mit dem
wenigen Milchgeld diesen Betriebszweig zu subventionieren", machte
Schnakenberg den Landwirten klar. Der Ringberater sprach aber auch die
Politik an: „Wir brauchen bei derartigen Schwankungen eine steuerfreie
Risikorücklage", forderte er. Ein weiteres Ärgernis sind für ihn die
Cross Compliance Überprüfungen: „Häufig treffen überforderte Landwirte
mit übermotivierten Kontrolleuren zusammen. Die Vorgaben und Kontrollen
müssen einfach angemessen sein!"
Die wachsenden Milchviehbetriebe in Norddeutschland
machten die Strukturdefizite der Milchproduktion in Bayern noch
deutlicher. Prof. Helmut Hoffmann von der Technischen Universität
München - Weihenstephan räumte ein: „Durchschnittlich hatte ein
Milchbauer in Deutschland 2007 ungefähr 40 Kühe, in Bayern waren es nur
25. Wir drücken also den Schnitt und würden uns lieber mit Österreich
mit durchschnittlich elf Kühen pro Betrieb vergleichen, da stehen wir
besser da."
In Modellen hat Hoffmann errechnet, dass bei einem
Milchpreis von 28 Cent bis 2014 etwa fünf bis zehn Prozent der
bayrischen Milchviehbetriebe aufgeben würden, bei einem Preis von unter
25 Cent wären es sogar über 30 Prozent. In den vergangenen 30 Jahren
habe sich die Anzahl der bayrischen Milchkuhhalter bereits um zwei
Drittel reduziert. „Die Produktionskosten für die Betriebe mit weniger
als 30 Kühen sind einfach zu hoch, und das sind immerhin ungefähr 60
Prozent aller Milchkuhhalter", bedauerte Hoffmann, sieht aber wegen
sinkender Direktzahlungen auch keine Rettung durch die Grünlandprämie.
Dennoch berichtete Hoffmann von zukunftsorientierten
Molkereien im Süden: „Ein Siebtel der bayrischen Milch wird nach
Italien exportiert, außerdem sind sie durch die Erzeugung von
Markenprodukten gut aufgestellt", sagte er. Mit der Markeneinführung
hätten die Genossenschaftsmolkereien in Norddeutschland noch Probleme.
Trotzdem stehe Nordmilch im IFCN-Ranking der weltweit größten Molkerein
auf Platz 13. Die Genossenschaft als Unternehmensform bringe allerdings
viele Schwierigkeiten mit sich, weiß Prof. Achim Spiller vom Lehrstuhl
für Agrarmarketing der Universität Göttingen. „Langwierige
Entscheidungsprozesse, hohe Kosten durch die Organe der Genossenschaft
und die geringe Investitionsbereitschaft der Mitglieder in den
Markenaufbau oder die Internationalisierung machen die Unternehmen
unflexibel", erklärte Spiller. Langfristige Geschäftsbeziehungen, wie
sie zwischen Landwirten und Genossenschaften bisher üblich waren,
würden wegen schwankender Preise von den Milchbauern zunehmend in Frage
gestellt und inzwischen stiegen fünf Prozent der Milchviehhalter pro
Jahr aus dem Genossenschaftssystem aus.
Bessere Gremienarbeit
„Außerdem stimmt etwas nicht bei der Gremienarbeit",
stellte Spiller fest. „Sind sie tatsächlich noch eine demokratische
Lieferantenvertretung, oder inzwischen eher ein Sprachrohr der
Geschäftsführung?" Spiller zeichnete zwei mögliche Wege für die
genossenschaftlich organisierten Molkereien vor. Entweder könne der
Genossenschaftsgeist im solidarischen Modell erhalten bleiben, dann
blieben allerdings auch die derzeitigen Probleme bestehen, oder die
Unternehmen müssten sich weiter den Strukturen einer
Kapitalgesellschaft annähern, die Landwirte nur als Kapitalgeber sehen
und das Ehrenamt professionalisieren.
An der Liberalisierung der Märkte führt kein Weg
mehr vorbei, das wurde bei allen Referenten deutlich. Damit steige auch
das Risiko für die Landwirte. Diese müssten sich an die neue Situation
anpassen und selbst Sicherungssysteme schaffen. Eine strategische
Betriebsplanung sei dafür ebenso wichtig wie die Bildung von Rücklagen,
die Suche nach den richtigen Handelspartnern und eine besondere
Vorsicht bei Investitionen.