Zürich (agrar-PR) - Klimawandel, Nahrungsmittelknappheit, Finanzkrise – an
Risikobotschaften mangelt es wahrlich nicht. Die ETH Zürich will
zusammen mit Partnern ein weltweit führendes Zentrum für Integratives
Risikomanagement aufbauen. Gemeinsam mit der ETH Zürich Foundation
stellte sie am gestrigen Lokaltermin des ETH-Präsidenten ihr Projekt
Donatoren und Freunden der ETH vor.
Der Ort des Geschehens, das Versuchslabor der
Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie, stellte
durchaus Anforderungen an die Risikokompetenz und Voraussicht der
Besucher. Es galt, sich zwischen Mauern, die nur darauf warten, durch
Wassergewalt umgeworfen zu werden, Hangrutschsimulatoren und anderen
Fährnissen den Weg zur Veranstaltung zu bahnen.
Das war keine schlechte Einstimmung auf die Botschaft, die
Jürgen Dormann, Stiftungsratspräsident der ETH Zürich Foundation und
Verwaltungsratspräsident der Metall Zug AG, im Laufe der Veranstaltung
so formulierte: «Es gibt derzeit keine bessere Investition als eine
Investition in integratives Risikomanagement.»
Die Risiko-Initiative läuft an
Rund 50 Millionen Schweizer Franken sollen aufgebracht
werden, um das weltweit einmalige Zentrum zur Integrativen
Risikoforschung zu realisieren. Das Ziel dieser Initiative ist es,
durch verstärkte Forschung und Lehre besonders die Zusammenhänge
zwischen den vielfältigen Risiken der modernen Gesellschaft besser zu
verstehen. Dabei kann auf einem breiten Fundament aufgebaut werden.
Bereits heute arbeiten an die 40 Professuren der ETH an verschiedensten
Risikothemen. Zentren der Forschung sind beispielsweise die Bereiche
Risiken technischer Systeme (LSA),
Naturgefahren (HazNETH),
Finanzen (RiskLab) und
Krisen in sozioökonomischen Systemen (CCSS) .
ETH-Präsident Ralph Eichler stellte die zukünftigen
Bausteine der Risiko-Initiative vor. Geplant sind 3 neue Professuren im
Gebiet Integratives Risikomanagement. Eine davon soll ausdrücklich
fachübergreifend ausgelegt sein, die anderen beiden haben
voraussichtlich je einen Fokus im Bereich Versicherungen und
Banking/Finanzen. In Stein gemeisselt ist diese Ausrichtung jedoch
nicht. Wie Ralph Eichler präzisierte, sucht man vor allem
Persönlichkeiten, die inmitten sich wandelnder Risikolandschaften ihre
Kompetenzen beweisen.
Systemübergreifende Partnerschaften
Die Finanzierung der ersten Professur ist durch den
Partner Swiss Re gesichert. Das Unternehmen finanziert diese Professur
während der kommenden sechs Jahre mit insgesamt 5 Millionen Schweizer
Franken. «Der Aspekt der systemübergreifenden Betrachtungsweise ist für
unser Engagement zentral», erläuterte Stefan Lippe, CEO von Swiss Re.
«Es gibt sehr viel Expertise im Bereich einzelner Risiken, aber die
Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Systemen
herzustellen, ist weltweit Mangelware.» Für die beiden anderen
Professuren wie auch für das zweite Standbein der Risikoinitiative, ein
neues Gebäude an der Leonhardstrasse, das die Risikokompetenzen nicht
nur geistig sondern auch physisch zusammenführen könnte, werden noch
Partner und Mittel gesucht.
Für Axel P. Lehmann, Group Risk Officer von Zurich
Financial Services, sind Partnerschaften ein entscheidendes
Erfolgsmerkmal: «Diese Initiative wird den Wirtschaftsstandort Zürich
mit seinen Banken und Versicherungen entscheidend stützen, wenn
genügend andere Institutionen daran beteiligt sind», betonte er an der
Podiumsdiskussion der Veranstaltung. Dass dies viel mehr als
Geldtransfer bedeutet, erläuterte Swiss Re-Chef Lippe im Gespräch: «Wir
investieren in diese Partnerschaft nicht nur Geld, wir investieren vor
allem Zeit, um einen optimalen Wissenstransfer zu erreichen,» sagte er.
Dass der Wissenstransfer dabei durchaus gegenseitig ist, verdeutlichte
ETH-Präsident Ralph Eichler: «Für uns liegt ein grosser Reiz dieser
Partnerschaft auch darin, dass eine Institution wie Swiss Re über
Datenmaterial verfügt, das sonst der Wissenschaft nicht zur Verfügung
steht.»
Hochaktuelles Transferwissen
Dafür, dass ein erster Wissenstransfer bereits am
Lokaltermin stattfand, sorgten die beiden ETH-Professoren Hans Gersbach
und Dirk Helbing. Gersbach leitet den Lehrstuhl für Makroökonomie am
Departement Management, Technologie und Ökonomie. Sein Forschungsgebiet
- Fragen der Stabilität von Banken- und Finanzsystemen - könnte derzeit
nicht aktueller sein. Als Berater der deutschen Bundesregierung hat er
dieser Tage alle Hände voll zu tun. Warum die gegenwärtige Finanzkrise
anders ist als andere Finanzkrisen, erläuterte er am Lokaltermin: «Wir
erleben den grössten Abschwung seit der Depression vor dem zweiten
Weltkrieg und den grössten Einkommensrückgang der Geschichte
überhaupt.» Krisen gebe es immer wieder, doch dass das Finanzsystem die
Verluste von 580 Milliarden US-Dollar durch die Hypothekenkrise nicht
verkraftet habe, sei ein Alarmzeichen. «Ein gesundes Finanzsystem
müsste einen solchen Verlust, der kaum ein Prozent des globalen
Finanzsystems ausmacht, problemlos überstehen können», so Gersbach.
Jetzt sei eine Neugestaltung der Finanzarchitektur notwendig.
Makroökonomisches Systemwissen könne dabei helfen.
Warum an sich recht robuste soziale Systeme plötzlich
zusammenbrechen können, erläuterte Dirk Helbing, Professor für
Soziologie am Departement für Geistes-, Sozial- und
Staatswissenschaften und Direktor des Kompetenzzentrums CCSS, anhand
verschiedener Computer-Simulationen. So konnte er zeigen, dass sich
unter normalen Umständen Fussgängerströme sehr gut selbst organisieren.
Ab einer bestimmten Dichte aber funktioniert diese Selbstregulation
nicht mehr. Trauriges Beispiel dafür war die Katastrophe in Mekka, wo
Stauungen in den Pilgerströmen zu rund 300 Todesopfern führten.
Praktische Anwendung finden solche Simulationen derzeit beispielsweise
in einem gemeinsamen Projekt mit VW, wo mit Hilfe von automatischen
Steuerungssystemen die Geschwindigkeit und der Abstand einzelner Wagen
vor möglichen Staupunkten wie Autobahneinfahrten so reguliert wird,
dass der Verkehr im Fluss bleibt.
Auf dem Weg zum abschliessenden Apéro stellte so mancher
Teilnehmer des Lokaltermins schmunzelnd fest, dass dieses
Antistau-System auch hier äusserst sinnvoll eingesetzt werden könnte.
Womit die Praxisrelevanz der ETH-Risiko-Forschung bewiesen war.